GLÄSERN (German Edition)
auf Jezabel, die mit leicht gespreizten Schwingen auf dem Kaminsims Platz genommen hatte. Lord Sandy war nun endgültig verwirrt. Wie unangenehm.
Lady Amaranth hob ein feines Glas an ihre Lippen, gefüllt mit golden schimmerndem Met. »Sie reisen mit dem ersten Morgenlicht gen Küste und setzen alsbald nach Deutschland über. Alles andere wird Ihnen, wie bereits gesagt, mein Valet Frederick mitteilen.«
Damit wandte sie sich um und ließ sich mit einem Seufzen zurück in die riesigen weichen Kissen sinken. Sie hob das kleine Büchlein erneut auf und fuhr in aller Ruhe fort, zu lesen. Das Feuer spann glühende Krieger auf ihr porzellanenes Profil. Lord Sandy schwenkte verwirrt die feisten Arme und kam schließlich aus dem tiefen Sessel hoch. Er wiegte ein paar Mal seinen wuchtigen Kopf umher und entschied sich, das zu tun, was er auch später immer tat, wenn etwas seinen geistigen Horizont überstieg: Er nahm es hin.
Die Fahrt beginnt
Unser Aufbruch fand dann doch erst im Morgengrauen statt. Nicht nur Giniver und ich hatten eine unruhige Nacht hinter uns – gottlob in unseren eigenen Zimmern und nicht, wie erwartet, im Kellergewölbe zwischen Pfützen und Ratten – da wir nicht zuletzt aus Reisefieber unter vehementer Schlaflosigkeit und zudem unter jenem Sturm mit endzeitlichem Donnergrollen litten, der uns beinahe die Hütte unter dem Hintern fortblasen wollte. Wir waren noch niemals weiter fort vom Manor als im Dorf gewesen – Giniver noch nicht einmal über die Terrasse hinaus, seit ihrer Einstellung als Maid Servant.
Wir fürchteten die Welt ebenso, wie sie uns einst verabscheut hatte. Aus gutem Grund. Da es die Sonne seit Eirwyns Flucht nicht mehr schaffte, die Wolkendecke zu durchdringen, so war es in den Stunden der Morgendämmerung noch immer stockfinster. Der anhaltende Sprühregen ging langsam in nassen Schnee über und beschwerte unsere Mäntel. In dicke Wolle und Fell gehüllt, warteten Giniver und ich bereits im Windschatten der Kutschen. Die Personen- als auch die Gepäckkutsche standen zur Abfahrt bereit. In Letztere hatten wir natürlich längst unsere Koffer und Reiseschränke gestapelt. (Schränke, jawohl! Wie sonst sollten wir jedwede Situation wohlgekleidet meistern?) Wir hatten vor, den stattlichen Spiegel, in welchem wir bequem unsere Garderobe begutachten konnten, später mit Lord Sandys Säcken zu polstern.
Ich wartete zitternd und unruhig und versuchte, meine Frisur so gut wie möglich in einem passablen Zustand zu halten. Was für ein Wetter! Eine denkbar ungünstige Voraussetzung für eine Reise. Generell für jedwede Aktivität außerhalb der wohligen vier Wände. Bei solchen Niederschlägen sollte man dem Kamin nicht weiter als zehn Schritte den Rücken kehren. Nun, meine Perle Giniver hatte ihr langes Haar zu zwei kleinen Knoten oberhalb ihrer Ohren aufgesteckt und trug ihren rund geschnittenen Pony ordentlich und akkurat. Sie schlotterte vor Kälte und Angst, die ich in ihren Augen sah, und verschwand beinahe in ihrem üppigen Pelzkragen, so tief zog sie den Kopf zwischen die Schultern. Mir entging nicht, dass sie keine Winterstiefel trug, sondern ihre hohen Dienstmädchenschuhe aus dunklem und weißem Lack.
Die Kutscher entzündeten gerade die Öllampen an den Gefährten, die sogleich in einem schwachen, hellen Grün wie Geisteraugen im Morgengrauen aufglimmten, als Lord Sandford aus dem dunklen Eingangsportal in den Hof trat. Er füllte die Eingangspforte gänzlich aus und auch er hatte offensichtlich die kurze Nacht nicht zum Schlafen nutzen können. Der Lord wirkte verstimmter als zuvor, zudem waren seine Augen stark geschwollen und gerötet. Dennoch musste ich eine gewisse Achtung vor seiner Erscheinung zugeben, denn nicht nur seinen wilden schwarzen Schopf hatte er gestutzt, sondern auch Koteletten und Bart umrahmten nun die schmalen, leicht geschwungenen Lippen wie mit Kohle gezeichnet. Sein langer Kinnbart lag über der Brust, eine metallene Kreole hielt ihn statt eines Bandes zusammen. Ein Wolfsfellmantel und passende Stiefel machten ihn imposanter denn je und ich kam mir nun noch schmächtiger vor als ohnehin. Zu diesem Zeitpunkt redete ich mir erfolgreich ein, ihm in Intellekt und Sauberkeit doch weit überlegen zu sein – besonders in Zweiterem.
Einer der Kutscher nahm dem Lord Säcke und Taschen ab und polsterte damit den Spiegel, wie ich es ihm angewiesen hatte.
Wir begrüßten uns mit einem knappen Nicken. Ich wunderte mich erneut über die tiefschwarze
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