GLÄSERN (German Edition)
noch mehr als die Schauergeschichten des Manor.
Ich selbst kann dieses Gerücht weder dementieren noch bestätigen und halte es auch nicht für essentiell, denn sie behandelte mich und Giniver stets zuvorkommend, wenn wir gute Arbeit leisteten. Jedoch erinnert sie mich noch immer an eine Art „Negativbildnis“ ihrer Tochter. Allein, eine weitere Besonderheit ist ihr noch zu Eigen, was doch zumindest ein wenig die Furcht vor ihr untermalen dürfte: Die helle, beinahe weiße Iris meiner Herrin wurde von einem rötlichen Ring umschlossen – so rot wie Blut. Ein dämonisches Zeichen, ein Mal des Bösen, wie man sagt. Daher verließ sie ihr Gemach nie unverhüllt.
Dennoch, sicherlich erlebte das Ego Lord Sandys unermessliche Wachstumsschübe, in Gesellschaft einer solchen Dame Tee kredenzt zu bekommen. Lady Amaranth fixierte ihn eingehend unter halb geschlossenen Lidern. Gerade versuchte der Lord angestrengt durch den feinen Schleier aus schwarzer Spitze zu spähen, als wir die Bibliothek betraten.
Stille empfing uns. Die Lady schien es noch nicht für nötig befunden zu haben, ihn in Geplänkel einzubinden. Giniver und ich servierten flink den persischen Tee aus Indien im chinesischen Service und die schwedischen Gebäckteilchen aus Tschechien und bezogen Stellung zu beiden Seiten der Tür. Lord Sandford begaffte sogleich unverhohlen meine Freundin Giniver und war offensichtlich verwirrt ob ihres eigenwilligen hellpinken Haares und der doch einigermaßen kurzen Dienstmädchenkleidung aus schwarzem Lack. Zwar versuchte sie, seine stechenden Blicke zu ignorieren, die sie ungeniert abtasteten, dennoch zitterten ihre Hände so sehr, dass ich ihr schließlich die klirrende Teekanne abnahm.
Plötzlich sah ich ein überraschend kaltes Lächeln über die Lippen des Lords wandern. Ich war mehr als überrascht und ein unangenehmer Schauer lief mir das Rückgrat hinab. Hier schwor ich mir, ihn ab sofort nicht allzu sehr zu unterschätzen und ihn niemals aus den Augen zu lassen. Die alten Gerüchte über ihn, den geheimnisvollen Schlossbesitzer, kamen in mir hoch, wie unverdautes Haggis.
Lord Sandford wandte sich dann rasch wieder der Lady zu, um nicht noch unhöflicher zu gelten als ohnehin bereits.
»Lord Sandford«, begann die Lady endlich mit ihrer tiefen Stimme. Sie bot ihm ihre behandschuhte Hand dar und er nahm sie vorsichtig in seine schwielige Pranke, um sich ihr mit feuchter Nase zu nähern. »Ich bin überaus erfreut, dass Sie sich meines Anliegens so eilig annehmen wollen.« Nur jemand, der viel, viel Zeit mit der Lady verbrachte, würde den sarkastischen Unterton heraushören, der mit ihrem Wort mitschwang. »Sicherlich stellt die großzügige Bezahlung nur einen nebensächlichen Aspekt dar.« Sie hob die langen Wimpern und sah ihn zum ersten Mal direkt an. Er zuckte beim Anblick ihrer rotumfassten Iris unmerklich zusammen und ich bewunderte ihn einen Augenblick lang um seine Gefasstheit.
»Ein solch großes Schloss, wie ich hörte, in einer so ungastlichen Gegend, muss doch viel zu viel Ihres Vermögens verschlingen.«
»Gewiss. Nein … doch, äh, ja …« Seine Stimme zitterte.
»Wie schön. Also komme ich sogleich zum geschäftlichen Teil«, fuhr die Lady fort. »Ich benötige einen Vertrauten, der bereit ist, in einer Angelegenheit für mich nach Deutschland zu reisen. Genauer, jemanden, der das alte Gut meines Mannes dort im Norden aufsucht.« Sie reichte ihm eine ordentlich gerollte Landkarte. »Dieses wurde bis vor Kurzem von einem Hort Bediensteter verwaltet, seit mein Mann, Graf von Waldeck, es vorzog, auszuziehen, um unseren Lebensmittelpunkt zurück in diese klamme, einsame und windgepeitschte Landschaft Schottlands zu verlegen, von woher ich stamme. Wie dem auch sei, Sie werden dort eine junge Dame antreffen, die in diesem verlausten Gut Zuflucht sucht, wie mir kürzlich zugetragen wurde. Sie verließ uns vor drei Wochen, und sie ist meinem Mann sehr teuer. Ich wünsche, dass dieses Mädchen hier auf diesem Anwesen ihrem kranken Vater beisteht. Ich selbst habe Gründe zur Annahme, dass allein sie zu seiner Genesung beizutragen vermag.«
Sie nahm einen Schluck Tee und blickte dem Lord dabei weiterhin mesmerisierend direkt in die Augen. Sandford nickte mechanisch. »Ihr Vater, mein Mann, ist nach ihrem Verschwinden vor Gram so schwer erkrankt, dass er nicht mehr in der Lage scheint, sein Krankenlager allein zu verlassen. Er tat dies tatsächlich kurz nach ihrer Flucht zum letzten Mal«, erklärte
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