GLÄSERN (German Edition)
Flügel, die Füße nun eher blutige, verkohlte Stummel, ging sie langsam in die Knie. Ein schwerer Atemzug, mehr ein Seufzer, kam über ihre Lippen. Sie fiel auf die Seite und blieb endlich – endlich! – still auf dem blutig-roten und ehemals weißen Mosaikfußboden liegen.
Unter Tränenschleiern blickte ich auf ihr vor Pein entrücktes Gesicht. Ich weinte stumm, jedoch so heftig, dass mir bald der Kopf schmerzte und ich mein Herz hart gegen meine zerschmetterte Rippe schlagen hörte. Gleich einer kaputten Uhr anstelle meines Herzens rasselte es und ich wünschte, es würde jeden Augenblick aufhören mit seinen verfluchten Schlägen! Ich sah mich um und blickte auf die Konturen dieser von einem garstigen Tod Gier geifernden Kreaturen, in deren Mitte ich mich befand. Warum ich nicht eingegriffen hatte? Sie nicht beschützt hatte? Wer war ich denn schon. Ein guter Valet meines Formats hält sich einzig an die Wünsche seiner Herrschaften. Was sie wünschen, erfülle ich bedingungslos. Unausgesprochenes bleibt auch Unerledigtes. Sicher erscheint das so Manchem einigermaßen hölzern, doch in dieser Gesellschaft ist das eben so. Selbst wenn es um Leben und Tod geht … Oder um das Ansehen einer ganzen Familie. Die nette Idee des immertreuen Aufpassers, dessen Stellung ein Servant in Büchern gern inne hat, ist auch leider nur eine solche.
Dennoch, Etikette muss sein, nicht wahr? Wo kämen wir wohl sonst hin?
Der Pavillon war lange schon menschenleer und ich stand inmitten ausgetrunkener Gläser und zertretener Blumen. Noch immer sah ich meine Herrin vor mir stehen wie einen Geist im Nebel, der sich langsam darnieder senkte. Erneut spulte sich alles vor mir ab, wie in einer LaternaMagica , ohne dass ich es verhindern konnte: Sie stand kerzengerade und gefasst mit vor dem Bauch verschränkten Händen da, als man ihr die glühenden Schuhe reichte. Keine Regung, keine Zuckung ging über ihr Gesicht und es schauderte mich bis ins Mark. Der Servant ging vor ihr in die Hocke, die Schuhe zwischen behandschuhten Händen auf einem Tablett dargeboten. Kierans kalter Blick hätte das höllische Eisen ohne Weiteres zum Erfrieren bringen können, stattdessen bohrte er ihn abschätzig in die Lady wie einen Dorn. Eirwyn blickte beinahe ebenso emotionslos wie ihre Mutter. Wie anders sie war, wie sehr sie sich verändert hatte in den vergangenen Wochen! Sie nickte ihrem Diener kaum merklich zu. Wie aus dem Nichts tauchten zwei der anderen Bediensteten auf und hielten die Lady an den Armen. Sie riss sich erbost los.
»Wagt es nicht, mich zu berühren, ihr Widerlinge!«, zischte sie.
Auf einen Blick der Braut hin traten sie zurück. Eirwyn zuckte mit den Schultern. »Ich denke, ich gewähre dir letztendlich deinen Stolz«, sagte sie leichthin. »Ich vertraue darauf, dass du stilvoll das erdulden wirst, was du verdient hast, Mutter.« Sie deutete aufmunternd auf das Tablett.
Dass es mich erschütterte, meine Lilie so grausam zu sehen, ist hier angesichts noch nicht erfundener Worte schamlos untertrieben. Es tauchte das letzte verbliebene Zipfelchen meiner einst unbescholtenen Seele in eine klebrige Schwärze. Ohnmacht überfiel mich, doch ich zwang mich, auf den Beinen zu bleiben. Die ersten Tränen rannen mir über das Kinn, tränkten mein gutes Tuch. Tränen der Wut über diese schändliche Täuschung, der ich erlegen war, und des Unverständnisses. Stets hatte ich angenommen, Eirwyn und Graf Hektor seien die einzig guten Figuren in diesem seltsamen Spiel gewesen, dass ich die Grafentochter noch am leichtesten erkannt hatte in ihrer Rolle, die sie in meiner Geschichte zu spielen hatte. Folterer, Mörder, Intrigantinnen, wohin ich auch blickte. Aus den Augenwinkeln sah ich zu Graf Hektor. Sein distanzierter Gesichtsausdruck ließ mich erneut schaudern, die kalte Strenge in seinen Augen, als würde er einem widerborstigen Kind seine letzte Lektion erteilen. Am Schlimmsten jedoch berührten mich die Hochzeitsgäste, die teils erwartungsvoll, teils unsicher, doch alle sensationslüstern, um sich blickten. Niemand trug wenigstens des Anstandes wegen ein ängstliches Gesicht zur Schau, noch griff jemand – Gott bewahre – ein.
Da ich ja in meiner Position einer strengen Auflage unterliege, die mich auch vertraglich auf den ausdrücklichen Wunsch meiner Lady beschränkte, übertreibe ich in keiner Weise, wenn ich sage, dass ich mich der Ohnmacht mit schnellem Schritt näherte. Nur die aufsteigende Übelkeit und mein
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