GLÄSERN (German Edition)
ich Sandy, wie er fahrig umher schlich und einen großen Bogen selbst um die kleinste Pfütze machte. Wir kicherten hinter vorgehaltenen Händen.
»Offensichtlich meidet er das Wasser. Und er hat sich, seit wir gestern Abend hier dieses unsägliche Lager aufgeschlagen haben, nicht einmal beim Ausladen seines ekelhaften Beutels in meinem Spiegel angesehen, wie du im Übrigen unschwer erkennst. Selbst bei einem so ungepflegten Tölpel fällt es auf, wenn er öfter auf Hygiene verzichtet, als ohnehin. Man riecht ihn förmlich, ehe er sich auf zehn Meilen nähert.«
Giniver knuffte mich tadelnd an die Schulter. Ich rieb mir schmunzelnd den blauen Fleck in der Entstehungsphase.
»Hab etwas Mitleid. Er hat es nicht leicht. Du solltest das wissen«, meinte sie leise. Sie drehte mir ihren schmalen Rücken zu und begann ihr Haar sorgfältig hochzustecken. Ich zog derweil hilfsbereit die Schnürung ihres glänzenden Mieders fester und fixierte die steife Schürze ordentlich darüber. Wortlos hakte sie sich bei mir unter.
»Hast du denn keine Angst vor ihm?«, fragte ich. »Immerhin scheinst du dich unwohl zu fühlen, wenn er in der Nähe ist.«
»Warum? Sollte ich etwa?« Sie zuckte die Schultern. »Er ist sicher nicht so furchteinflößend, wie er scheint.«
Ich zuckte ebenfalls die Schultern. »Ich meinte, wegen der gierigen Blicke, die er –« Ich riss die Augen auf wie ein alter Uhu.
»Soll er doch«, unterbrach sie mich zaghaft. »Wenn er etwas ansehen will, das ihm gefällt, ist das sein gutes Recht. Und wer bin ich schon, außer einer gewöhnlichen Bediensteten.«
Ich wunderte mich inzwischen nur mehr kurz über ihre oft seltsamen Sichtweisen und über ihren Großmut. Ihre Meinung teilte ich natürlich nicht, aber schließlich war ich nicht ihr Vormund.
Ich verknotete meine Finger mit den ihren. »Falls es dich zu sehr stört, sag mir Bescheid. Ich regle das dann für dich. Und du weißt genau, dass du für mich alles bist. Ich tue alles für dich.« Da war es schon wieder. Blinder Gehorsam und fraglose Selbstaufgabe sind doch etwas sehr Bequemes.
Sie sah mir ins Gesicht, nickte langsam. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie mich niemals bitten würde. Also zog ich sie an der Hand hinter mir her durch das niedrige Gestrüpp. Es war Zeit, zur Gruppe zurückzukehren.
Folgenden Pub , den wir nach einer weiteren Tagesreise ansteuerten, nenne ich übrigens aus purer Freundlichkeit so. Ungläubig starrten wir den verwitterten Schuppen an, der sich gefährlich nach hinten und zur linken Seite neigte, als wären wir es, die ihn anwiderten, und über dessen windschiefer Tür unpassender Weise die Letter ›The Magyc Mirror‹ prangten.
Jedoch waren wir nach stundenlanger Schaukelei in der Kutsche inzwischen etwas mürbe und unser Kreuz hatte die Konsistenz einer Assel. Dank der sechs schnaubenden Teufelsrappen hatten wir in Windeseile innerhalb eines Tages mehr als die Hälfte des ganzen Landes hinter uns gelassen. Außerdem überließ der Wirt uns drei Zimmer zum Preis von drei Futtertrögen und wir schlugen eilig ein. Geld besaßen wir zwar genug, wollten es jedoch nicht in solch unnötige Güter wie eine heiße Mahlzeit oder winddichtes Gemäuer investieren.
Angesichts der verwanzten und alles andere als geruchsneutralen Gestalten im Schankraum, deren Blicke uns unverhohlen folgten, fühlte ich mich sogleich wieder unwohl. An einem etwas abgegrenzten Ecktisch hinter einem dicken Vorhang, wahrscheinlich ehemals aus Samt, konnten wir uns in Ruhe der noch bevorstehenden Reiseroute widmen. Wir planten nun keinen Stopp mehr bis zum Meer ein, um dort bereits morgen überzusetzen.
Der Lord saß etwas abseits auf dem äußersten Eckchen der klebrigen Bank. Vorsorglich hatte ich meinen und Ginivers Platz mit dem harten Wolfsfell seines Mantels abgedeckt; und zu Recht, Tisch und Bänke hatten sicherlich ihre ganze Existenz hindurch noch keine Reinigung erlebt. Ich machte dem immer noch mürrischen Lord Sandy ein Friedensangebot, um uns allen eine stressfreiere Atmosphäre für das Abendessen zu gönnen: Ich orderte bei der ungepflegten Schankdame für jeden ein Pint besten Ciders, welches ich selbstredend aus seinem Beutel finanzierte. Ich schob den nicht einmal annähernd vollen Krug über den Tisch zu ihm hinüber. Sehr sparsam war das Volk hier im letzten Zipfelchen Northumberlands und der Krug polterte auch mehr über das klebrige Holz, wobei er noch ein paar zusätzliche Spritzer Bier einbüßte.
»Trinken Sie
Weitere Kostenlose Bücher