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GLÄSERN (German Edition)

GLÄSERN (German Edition)

Titel: GLÄSERN (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rona Walter
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irgendwo in den Höhen und im Geäst Ausschau zu halten. Ein wenig gekränkt war ich allerdings, dass der Rabe auch Giniver und mich beschattete. Aber wie gesagt hätte es mich ebenso verwundert, wären wir ohne sie losgezogen.
    Inzwischen jammerte der Lord herzzerreißend weiter und ich blickte mich unruhig um, ob uns nicht doch jemand hören konnte. Der Flur blieb jedoch bis auf uns beide leer. Vorsichtig entwand ich ihm meine Arme.
    »In allen Wassern und Spiegeln sehe ich diese rotglühenden Gespensteraugen! Ich getraue mich nicht einmal in meinen eigenen Strahl zu blicken, wenn ich pisse!«, jammerte er.
    Das war mir nun doch zu persönlich. Und völlig übertrieben zudem, denn von rotglühend konnte keine Rede sein, zum Kuckuck noch mal. Ich strengte mich vergeblich an, den Koloss wieder auf die Beine zu stemmen, gab jedoch sobald auf. Verstehen konnte ich den Mann ja. In den ersten Tagen meiner Ankunft, als mein Vater mich für einen Batzen Geld verkaufte, der beinahe so klein war wie sein Ehrgefühl, hatte auch ich kaum mehr in Gewässer geblickt, ohne beinahe dem Wahn zu verfallen. Meine Lady konnte überaus einnehmend sein. Aber man gewöhnt sich schließlich doch irgendwann an alles.
    »Lord Sandford, hören Sie …«, versuchte ich es erneut. »Lassen Sie es zu, dass sie Sie ansieht. Wenn Sie sich dagegen wehren, wird sie noch mehr nach Aufmerksamkeit verlangen. Ich gebe zu, es ist zuerst ein wenig beunruhigend, aber immerhin«, log ich schmeichelnd, »achtet sie auch auf Gefahren in Ihrer Nähe. Sie sorgt für Ihre Unversehrtheit. Und Sie verbergen doch nichts, mein Freund?«
    Einen jammernden Kopfgeldjäger konnte man schließlich ebenso gut gebrauchen, wie eine furzende Geliebte. Deshalb – und nur deshalb – ließ ich mich zu einer solchen Freundlichkeit hinreißen. Er blickte mich an, als hätte ich soeben beschlossen, den Pub hier und jetzt in Schutt und Asche zu legen und irrsinnig kichernd mit Zündhölzern werfend umher zu tanzen. Halb fürchtete ich, er würde mich dafür zur Verantwortung ziehen, dass ich dieses Wissen für mich behalten hatte. Gleich würde er mich mit einer Drehung seines großen Bauches zu Boden schicken und dann war ich verloren. Und so war es auch. Beinahe.
    »Und warum ist es nötig, dass ich zuerst zusammenbreche, bevor ich über ein solches … beunruhigendes Detail in Kenntnis gesetzt werde!«
    Keine Spur mehr von ängstlichem Gewinsel. Auch spuckte er jetzt, was ich als sehr unangenehm empfang. Verstohlen wischte ich mir mit seinem groben Tuch, welches ich mit spitzen Fingern aus seiner Brusttasche fischte, einen Speichelfaden vom Kinn.
    »Nun, es ist auch nicht nötig, dass man wegen eines Paars illuminierter Augen im Wasserglas den Verstand verliert, so gering er auch sei.«
    In seinem wilden Blick las ich, dass es klüger war, für kurze Zeit zu schweigen. Aber eines musste ich dennoch loswerden: »Angesichts der finanziellen Entlohnung sollten Sie den Preis der Intimität doch bereit sein zu zahlen, finde ich. Gehen Sie schlafen. Und trinken Sie etwas, um sich zu beruhigen.«
    »Und was!?! Mein Whiskey ist bereits völlig leer! Und alles andere ist nicht trübe genug um … Herrgott noch mal!«
    Ich wandte mich zum Gehen. Meine Füße waren eiskalt.
    »Der Herrgott hat damit nicht das Geringste zu tun, glauben Sie mir. Aber wie wäre es stattdessen mit ein paar mehr Gläsern Absinth?«

    Die Wände im ›Magyc Mirror‹ dienten offensichtlich als Unterkunft für Mausefamilien und weiß die Göttin welch Ungeziefer noch. Kopfgroße Löcher und teilweise eingebrochene Wandfragmente waren mit Möbelstücken von ebenso fragwürdiger Stabilität notdürftig verdeckt worden und ließen mich an der Festigkeit der gesamten Baracke zweifeln. Ich hoffte inständig auf die Kraft der wenigen tragenden Wände. Durch den Zoff mit Sandy lag Giniver wach, als ich zurückkam.
    »Sie hat sich bereits in seinem Kopf eingenistet, wie wir ahnten«, erklärte ich knapp. »Wie schön, dass dort genug Platz herrscht, um eine Herrin ihres Formates unterzubringen. Scheinbar sieht er sie auch in seinem – ah«, ich erwiderte ihren rehäugigen Blick, »seinen Drinks. Auf jeden Fall hat er noch weniger Mumm, als wir dachten.«
    Ginivers große fragende Augen blickten mich weiterhin an. »Warum hat sie sich eigentlich für ihn entschieden?«, fragte sie mit vom Schlaf rauer Stimme.
    Ich zuckte beiläufig die Schultern. »Er ist stark, hat gesellschaftlich großzügige Ansichten, und er

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