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GLÄSERN (German Edition)

GLÄSERN (German Edition)

Titel: GLÄSERN (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rona Walter
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giert nach dem Geld. Leuchtet doch ein, dass er sie keinesfalls enttäuschen will.«
    Sie blickte mich zweifelnd an. Ich küsste sie auf die Stirn.
    »Und wir auch nicht.«
    Dann sanken wir endlich wieder in die Kissen, müde genug, um die knacksenden Kakerlaken darin zu ignorieren.

    Ein grauer Morgen begleitete uns bis zum Meer auf unserer holperigen Fahrt auf englischen Landwegen. Die schnaubenden Rappen jagten wie irrsinnig über holprige Pfade und durch kleine Dörfer, die teilweise aus nur wenigen Häuschen bestanden. Sie wurden nur bedingt langsamer, als wir über den nahenden Strand holperten, bis wir den Platz der Fähre erreichten, die bereits angelegt hatte. Die Biester schnaubten und scharrten ungeduldig mit den Hufen im Sand, als ob sie in demselben Tempo geradewegs über das Wasser fliegen wollten.
    Giniver und ich sprangen erleichtert aus der Kutsche und mit knirschenden Gliedern dem kalten, wilden Meer entgegen. Auch die Kutscher weideten sich einen Moment an dem ewigen Grau, bevor sie unsere Überfahrt arrangieren mussten. Allein Lord Sandford blieb zurück, der sich dem Wasser von nun an gänzlich fernhielt. Bald würde man das auch mühelos weiter als zehn Meilen riechen können. Giniver hatte ihre Lackschuhe ausgezogen und die Wellen umspülten ihre runden Zehen. Ich beobachtete sie, wie sie im seichten Wasser sanft mit geschlossenen Augen hin und her schwankte. Es fühlte sich an wie glückliche Kindertage, hätten wir welche gehabt. Die Kutscher ergatterten noch Plätze für die nächste Überfahrt und wir bestiegen eine dampfende und lautstark polternde Fähre namens ›Unsinkable II‹.
    Wir gingen an Bord und man vertäute die Kutschen an ihren Plätzen. Fast alle genossen die raue Reise über die stürmische See. Natürlich kotzte sich Sandy die Seele aus dem Leib, war zum Glück jedoch taktvoll genug, sich dafür den am weitesten entlegenen Platz auszusuchen. Seit der Abreise im ›Magyc Mirror‹ war er erstaunlich schnell zum Wrack geworden.
    Wir hingegen genossen diese fremde Freiheit, die wir hier empfanden, so völlig zwischen den Welten. Wir hatten Englands Küste hinter uns gelassen und die deutsche Erde noch nicht betreten. Hier war man beinahe im Niemandsland, ließ man die bestehenden Besitzansprüche der jeweiligen Länder außer Acht. Ich betrachtete die kleiner werdende Insel hinter uns, und sie fehlte mir bereits. Aber ich freute mich auf die neue Welt, die vor uns lag. In diesem Sinne war es kein Abschied für mich. Aber andererseits auch kein Willkommen für uns alle, wie wir bald erfahren sollten.

Alte Freunde und neue Fragen

    Wälder besaßen für mich schon immer eine besondere Seele. Ihre wogenden Farne, das unwirkliche Schummerlicht, die Geräusche, ein Wispern von Nymphen … Jener, durch den wir nun reisten, ließ uns Ruhe finden und wir glitten nahezu über seinen bemoosten Boden. Alles war überzuckert von hauchfeinem Frost …
    Zugegeben, das klingt alles sehr prosaisch. Wenn man jedoch den Großteil seiner jungen Lebensjahre nahe den vermoderten Blättern und den sterbenden Wurzelwerken inmitten des düsteren, verfaulenden Wilden Waldes verbracht hat, scheint einem jedes auswertige Grün frisch – sogar das der Deutschen. Und in diesem Fall war ich bezaubert von den lichten Wäldern des deutschen Nordens.
    Wir mussten uns mit dem Fensterblick zufriedengeben, da Pausen seit der Überfahrt tabu waren. Allein, es dunkelte rasch und mit Einbruch der Nacht offenbarte der Wald uns dann sein zweites, morbides Gesicht. Knorrige Äste zeigten wie gichtgebeugte lange Finger auf uns, die Gräser wankten nur mehr träge vor sich hin; es schien mir, als rollten sich einige von ihnen leise knirschend ein, um dann in einer schnellen Bewegung gen Blätterdach zu schnalzen. (Hier kann ich ruhigen Gewissens schwören, dass ich seit unserer Abreise keinen Tropfen Cider mehr zu mir genommen habe!) Blätter an Bäumen und Büschen hingen mit dem Untergehen der blutroten Sonne immer schlaffer herab, wie Taschentücher. Was zuvor ein Rauschen gewesen, glich nun einem warnenden Raunen. Phosphoreszierte Blicke von Nachtwesen folgten unserer Kutsche.
    »Der Wald macht sich zur Nachtruhe bereit«, meinte Giniver leise, als wolle sie ihn nicht wieder aufschrecken.
    In einem Anflug von Euphorie ob unserer flotten Fahrt hatten wir den letzten Gasthof und mit ihm die letzte Gelegenheit auf ein halbwegs warmes Bett zurückgelassen. Die Kutscher hielten die Teufelsrappen an und entzündeten

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