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Glashaus

Titel: Glashaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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Wurmlöchern führen, und von A-Toren, die zu Routern gehören. Als ich durch die auf der Karte markierte Tür trete, finde ich mich in einem Gang wieder, der mir bekannt vorkommt. Am Ende dieses mit natürlichem Holz getäfelten Ganges befindet sich ein Innenhof, dessen Mitte ein Zierbrunnen einnimmt. Die Atmosphäre hier wirkt friedlich und freundlich, wozu das warm glänzende Licht eines gelben Sterns beiträgt. Das ist der Bereich, in dem man mir und einer Hand voll anderer Reha-Patienten Wohnungen zugewiesen hat. Hier können wir uns, sofern es unser Zustand ohne Risiko erlaubt, in einer sicheren Umgebung mit Menschen treffen, die sich in der gleichen Phase der Genesung befinden. Außerdem ist es der Ort, an dem mich meine Therapeuten aufsuchen.

    Der Therapeut, der heute Dienst hat, ähnelt nicht im Entferntesten einem Menschen, nicht einmal einer Bushujo oder einer Elfe. Piccolo-47 ist eine Drohne mittlerer Größe, die ungefähr die Form einer Birne hat und über mehrere bizarr wirkende ausfahrbare Roboterglieder verfügt. Manche dieser Glieder sind physisch gar nicht mit Piccolos Körper verbunden. Piccolo weist nichts auf, das einem Gesicht ähnelt, was ich als persönlichen Affront empfinde. (Schließlich gibt es bei Menschen die tief verwurzelte Angewohnheit, emotionale Befindlichkeiten durch das Mienenspiel zu vermitteln. Ich empfinde es deshalb als eine bewusste Brüskierung, wenn jemand ohne Gesicht in der Öffentlichkeit agiert.) Allerdings behalte ich diese Gedanken für mich. Vermutlich steckt bei der Drohne eine bestimmte Absicht dahinter: Sie will meine emotionale Stabilität testen. Wenn ich mit jemandem, der kein Gesicht hat, nicht klarkomme, wie soll ich mich dann in der Öffentlichkeit bewähren? Außerdem wird es meinen emotionalen Schwankungen nicht guttun, wenn ich mit meinem Berater Streit anfange. Ich bin müde, würde gern ein ausgiebiges Bad nehmen und schlafen gehen, deshalb beschließe ich, diese Sache ohne unangenehme Zwischenfälle hinter mich zu bringen.
    »Du hast heute ein Duell ausgetragen«, sagt Piccolo-47. »Bitte schildere die Ereignisse, die dazu geführt haben, mit deinen eigenen Worten.«
    Ich setze mich auf die Steintreppe unterhalb des Brunnens, lehne mich zurück, bis ich die kühlen Wasserspritzer im Nacken spüre, und versuche mir einzureden, ich hätte es hier nur mit einem Haushaltsgerät zu tun. Das hilft. »In Ordnung«, erwidere ich und fasse die Tagesereignisse zusammen - zumindest die öffentlich bekannten.
    »Hat dich Gwyn deiner Meinung nach auf unangemessene Weise provoziert?«, will Piccolo-47 wissen.
    »Hm.« Ich denke kurz darüber nach. »Vielleicht habe ich sie auch meinerseits provoziert«, sage ich schließlich. »Nicht mit Absicht. Aber sie hat mich dabei erwischt, wie ich sie beobachtete, und das hätte ich wahrscheinlich vermeiden können. Sofern ich es gewollt hätte.« Bei diesem Eingeständnis komme ich mir ein bisschen niederträchtig vor - allerdings nur ein bisschen. Gwyn läuft in diesem Moment herum, ohne sich irgendwie daran zu erinnern, dass ich ihre Eingeweide durchbohrt habe. Und sie hat nicht einmal eine Stunde ihres Lebens eingebüßt. Wohingegen mein Bein zuweilen immer noch zuckt und mich damit an das Duell erinnert. Außerdem bin ich das Risiko eingegangen …
    »Du sagst, du hast immer noch kein Back-up angelegt. Ist das nicht ein bisschen leichtfertig?«
    »Ja, stimmt«, räume ich ein und gelange dabei zu einem Entschluss. »Gleich nach Ende unseres Gesprächs werde ich eins anlegen.«
    »Gut.« Ich fahre leicht zusammen und starre Piccolo-47 beunruhigt an. Normalerweise äußern Therapeuten während einer Sitzung keine Meinungen, weder positive noch negative; die Drohne hat gerade die Illusion zerstört, dass sie gar nicht präsent ist. Als ich ihren glatten Rückenschild mustere, merke ich, wie ich eine leichte Gänsehaut bekomme. »Die Überprüfung deines Verhaltens in der Öffentlichkeit weist darauf hin, dass du gute Fortschritte machst. Ich möchte dich dazu ermutigen, den Reha-Sektor weiter zu erkunden und die Selbsthilfegruppen der Patienten zu nutzen.«
    »Hm.« Ich starre die Drohne an. »Ich dachte, du dürftest gar nicht mit Vorschlägen eingreifen …?«
    »Wenn Patienten infolge der Ausmerzung ihrer Erinnerungen an ernsthaften dissoziativen Störungen der Psyche leiden, ist eine Intervention in der frühen Genesungsphase nicht ratsam. Allerdings kann sie in späteren Stadien angemessen sein, um einen Patienten

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