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Glashaus

Titel: Glashaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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Getränk taucht auf dem Tisch auf. Sie sieht so aus, als wüsste sie nicht, ob sie mir glauben soll. »Hast du Familie? Irgendwelche Freunde?«
    »Da bin ich mir nicht sicher«, gestehe ich ihr. Was eine Notlüge ist. Ich habe einige sehr vage Erinnerungen an meine Kindheit und Jugend; manche davon sind auf schablonenhafte Art so plastisch, dass sie meiner Meinung nach künstlich verstärkt sein müssen. Wahrscheinlich hat man das bei einem früheren Eingriff in mein Gedächtnis beiläufig mit erledigt. Es sind Erinnerungen, die ich offenbar - koste es, was es wolle - bewahren wollte; Erinnerungen an zwei stolze Mütter, die meine ersten Gehversuche auf einem dunklen Sandstrand beobachten … Ich habe zwar keine Anhaltspunkte dafür, aber ich bin fest davon überzeugt, dass ich langfristige Beziehungen eingegangen bin und mindestens eine Gigasekunde lang ein häusliches Leben geführt habe.
    Darüber hinaus kann ich mich noch schwach an frühere Kollegen erinnern, habe vage Bilder der Linebarger Cats vor Augen. Aber wenn ich mich auch noch so anstrenge, niemandem kann ich ein Gesicht zuordnen, und diese Erkenntnis tut weh. »Da sind Bruchstücke von Erinnerungen, aber ich hab das Gefühl, dass ich vor dem Eingriff ziemlich einsam gewesen sein muss. Offenbar war ich Teil einer Organisation, ein kleines Rädchen im großen Getriebe. Allerdings weiß ich nicht mehr, was für ein Getriebe das war.« Frisch vergossenes Blut, das im Vakuum sprudelt und zischt. Lügner!
    »Wie traurig.«
    »Und wie steht’s mit dir?«, frage ich. »Was war, ehe du als Eisdämon gelebt hast …«
    »Oh, das weiß ich noch! Ich bin mit einer ganzen Truppe aufgewachsen, hatte jede Menge Brüder, Schwestern und Eltern. Wir waren Fundamentalisten, Anhänger des Primatenkults, kannst du dir das vorstellen? Irgendwie ist es peinlich. Hin und wieder höre ich immer noch von einigen Cousinen und Cousins; gelegentlich tauschen wir persönliche Nachrichten aus.« Sie lächelt wehmütig. »Während ich als Eisdämon lebte, war das eines der wenigen Dinge, die mir meine Fremdheit in jener Gesellschaft wieder ins Gedächtnis riefen.«
    »Aber hast du während deiner Zeit als Eisdämon … Hast du da …?«
    Ihre Miene wird starr. »Nein, hab ich nicht.« Ich wende den Blick ab, weil ihre Reaktion mir peinlich ist. Wieso habe ich angenommen, ich sei der einzige Lügner am Tisch?
    »Um aufs Essen zurückzukommen«, sage ich, denn ich will das Thema möglichst schnell wechseln, »im Moment teste ich die Lokalitäten hier immer noch aus. Versuche herauszufinden, welche gut sind und wer wo herumhockt. Ich hab gedacht, ich geh was essen und halte danach vielleicht nach ein paar Bekannten Ausschau, nach Linn und Vhora. Kennst du die beiden? Sie sind auch in der Reha, nur schon ein bisschen länger draußen als wir. Linn macht eine Kunsthandwerkstherapie mit und verschönert mit ihren Projekten die Umwelt. Vhora lernt gerade die Musette spielen.«
    »Hast du ein bestimmtes Lokal im Auge?« Nachdem wir das heikle Thema fallen gelassen haben, taut sie schnell wieder auf. »Ich hab an ein Straßencafé im Grünen Labyrinth gedacht, an der Rückseite des Reichsflügels. Die Inhaber sind zwei Menschen, die professionell kochen. Sie bereiten öffentlich indonesische Tapas zu, was, historisch gesehen, natürlich nicht gerade authentische Kost ist. Aber es ist halt ein Freizeitspaß, die legen eine richtige Performance hin. Eigentlich erwarten sie gar nicht, dass man ihre Kreationen verspeist - es sei denn, man hat wirklich Appetit darauf.« Ich strecke einen Finger hoch. »Falls dir das nicht zusagt, gibt es im Grünen Labyrinth auch einen Schuppen, in dem sie alles Mögliche servieren. Sie machen dort eine ganz anständige Calzone, in der Pfanne zubereitet, nur nennen sie’s Dizer oder Dozer . Und natürlich gibt’s dort auch Sushi.«
    Kay nickt nachdenklich. »Klingt annehmbar.« Gleich darauf lächelt sie. »Diese Tapas hören sich nicht schlecht an. Sollen wir losziehen und sehen, wie viele wir schaffen? Danach können wir uns ja mit deinen Freundinnen treffen.«
    Eigentlich sind es gar keine Freundinnen, sondern eher Grußbekanntschaften, doch das verrate ich ihr nicht. Stattdessen begleiche ich nach einem Wink zur Registrierkasse hin die Rechnung. Danach treten wir durch den Hintereingang hinaus auf den schönen, silbern glänzenden Strand vor dem Reha-Club und schlendern zu einer Tür im rustikalen Design hinüber, die das Tor zum Grünen Labyrinth darstellt.

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