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Glashaus

Titel: Glashaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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Unterwegs zieht Kay ein Paar Pluderhosen im Batikmuster und ein formell geschnittenes Jackett aus schwarzer Spitze aus dem Beutel, den sie um die Taille geschlungen hat. Dieser Beutel ist ein kunstvoll kaschiertes Tor, hinter dem persönlicher Speicherraum liegt. Beide gehen wir barfuß, denn wir befinden uns im Grunde so tief im Inneren von Räumlichkeiten, wie für Menschen überhaupt möglich, auch wenn wir eine sanfte Brise und hellen Sonnenschein auf unserer Haut spüren. Ein Netzwerk sorgfältig isolierter Habitate hüllt uns ein. Im Abstand mehrerer Lichtsekunden treiben sie durch eine weite Region großer Dunkelheit.
    Das Grüne Labyrinth ist eines jener rechtwinkligen mathematisch-physikalischen Gebilde, die vor etwa vier Gigasekunden - gleich nach der Zersplitterung in einzelne Gemeinwesen, die auf den Krieg folgte - groß in Mode kamen. Die Grundstruktur dieses Labyrinths besteht aus grünen Gängen, die alle gerade verlaufen und einander im Winkel von neunzig Grad kreuzen, und wird durch eine verwirrende Anzahl von T-Toren zusammengehalten. Eigentlich ist es ein in sich begrenztes Netzwerk, deshalb kann es passieren, dass man auf einer Seite des Labyrinths durch einen Eingang tritt und sich plötzlich am anderen Ende wieder findet, vielleicht aber auch mehrere Stockwerke über dem Ausgangspunkt. Manchmal macht man sogar zwei Kehrtwenden, einen Hüpfer oder Sprung und landet hinter dem eigenen Kopf. Viele Apartmentsuiten gehen vom Labyrinth ab - auch der Hintereingang zu meiner Wohnung befindet sich hier -, darüber hinaus grenzen ans Labyrinth aber auch eher verblüffende, kubistisch gestaltete öffentliche Räume, Unterhaltungsecken und Showbühnen, Lokale, Ruheräume und ein paar echte, von Hecken gesäumte Irrgartenwege, angelegt in uraltem Stil.
    Überflüssig zu erwähnen, dass sich niemand den Weg durch das Grüne Labyrinth merken oder ihn aufs Geratewohl berechnen kann - manche Tore verschieben sich täglich -, doch mein Netzlink weiß, wo ich hinwill, und schickt mir als Leitstern ein Glühwürmchen. Für den Weg, den wir in einmütigem Schweigen zurücklegen, brauchen wir etwa eine Drittel Kilosekunde. Derweil versuche ich immer noch herauszufinden, ob ich Kay trauen kann, aber ich bin mir bereits sicher, dass ich sie mag.
    Das Lokal, das Tapas serviert, ist offen und großräumig angelegt. Uralte schmiedeeiserne Tische und Stühle stehen auf einer grasbedeckten Terrasse, die von einer Kuppel geschützt ist. Der rosafarbene Himmel darüber ist mit Wolken aus Kohlenmonoxid überzogen, die über einer Wüste aus zerklüftetem Basalt dahinjagen. Die Sonne ist hier sehr hell und sehr winzig, und ohne die schützende Kuppel würden wir vermutlich erfrieren, noch ehe die Atmosphäre uns vergiften könnte. Kay blickt hinüber zu den Zierarkaden rund um das T-Tor, an denen Efeu rankt, und wählt einen Tisch nahe am Tor. »Stört dich irgendetwas?«, frage ich.
    »Es erinnert mich an zu Hause.« Sie sieht aus, als hätte sie mit einer süßen Orange gerechnet und plötzlich in eine Zitrone gebissen. »Tut mir leid. Werd versuchen, gar nicht darauf zu achten.«
    »Ich hatte nicht die Absicht, dich …«
    »Das weiß ich doch«, erwidert sie mit schwachem, freudlosem Lächeln. »Vielleicht hab ich nicht genügend Erinnerungen gelöscht.«
    »Und ich zu viele, fürchte ich«, rutscht es mir unüberlegt heraus. Gleich darauf schlendert Frita, einer der Inhaber, die gleichzeitig als Köche und Designer tätig sind, zu uns hinüber, und wir verlieren uns eine Weile darin, seine jüngsten Kreationen zu loben. Selbstverständlich müssen wir die Früchte des ersten Produktionsdurchlaufs probieren und sie ausführlich würdigen, während Erci stolz dabeisteht und auf seiner Mandoline klimpert.
    »Zu viele gelöscht?«, hakt Kay nach, als wir wieder allein sind.
    »Ja.« Ich schiebe meinen Teller zurück. »Ich weiß es nicht genau. Mein altes Selbst hat mir einen langen, aber irgendwie vagen Brief hinterlassen - einen schriftlich niedergelegten, serialisierten, für Menschen lesbaren, ausgedruckten Text anstelle eines virtuellen, auf Simulation basierenden Erfahrungsberichts. Der Brief war mit einem Code verschlüsselt, den ich dechiffrieren konnte, wie mein früheres Selbst vorhersah. Darauf hat mein Vorgänger besonders geachtet. Jedenfalls hat er alle möglichen und ziemlich weitschweifigen Andeutungen über düstere Dinge gemacht. Er habe zu viel gewusst, für eine bestimmte Macht gearbeitet und schlimme Dinge

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