Glashaus
zugewiesene Therapeut, sagt, ich hätte gute Fortschritte gemacht. Und das ist wohl auch der Grund dafür, dass ich nicht richtig auf der Hut bin.
Völlig mit mir selbst beschäftigt, sitze ich allein an einem Tisch, als sich ohne Vorwarnung zwei Hände über meine Augen legen. Ich fahre zusammen, versuche aufzustehen und spanne mich instinktiv an, um einen Arm abwehrend hoch zu strecken, aber ein weiteres Händepaar drückt meine Schultern bereits nach unten. Gerade noch rechtzeitig erkenne ich, wer es ist, sonst hätte ich ihr mitten ins Gesicht geschlagen. »Hallo, Fremder«, flüstert sie mir ins Ohr; offenbar hat sie gar nicht gemerkt, dass ich ihr beinahe einen Schlag verpasst hätte.
»He.« Als ich ihre Haut an meiner Wange rieche, bin ich immer noch leicht benommen. Mein Herz will mir schier aus dem Brustkorb springen, und mir bricht kalter Schweiß aus. Vorsichtig lange ich nach oben, um ihr übers Gesicht zu streichen. Ich bin drauf und dran, ihr zu sagen, dass sie sich nicht auf diese Weise an mich heranschleichen soll, doch gleich darauf steht mir ihr Lächeln vor Augen, sodass ich einen freundlicheren Ton anschlage. »Ich hab mich schon gefragt, ob du hier auftauchst.«
»Hin und wieder schon.« Die Hände verschwinden von meinen Augen, sie lässt mich los. Als ich mich zu ihr umdrehe, sehe ich sie spitzbübisch lächeln. »Ich störe dich hoffentlich nicht bei wichtigen Dingen?«
»Ach was. Ich hab mein Studiensoll gerade erfüllt. Jetzt ist Entspannung angesagt.« Ich lächele leicht resigniert. Ich wäre ja auch entspannt, hättest du durch dein Anschleichen nicht gerade meine Flucht-oder-Kampf-Instinkte ausgelöst!
»Also gut.« Sie lässt sich neben mir in der Nische nieder, lehnt sich an mich und schnippt mit den Fingern, um etwas von der Getränkekarte abzurufen. Kurz danach taucht irgendetwas, das unten blau und nach oben hin golden schimmert, in einem hohen, schmalen Glas mit frisch gefrorenen Eisstückchen auf, das in der schwülen Luft leicht dampft. Im Nebel erkenne ich Gebilde, die Pferdeköpfe ähneln - bläuliche, selbstähnliche Schwaden. »Ich weiß nie genau, wann es die Höflichkeit gebietet, die Leute zu fragen, ob sie Gesellschaft wollen. Die Konventionen sind hier so völlig anders als die, die ich von früher her gewohnt bin.«
»Oh, ich bin da ganz locker.« Ich trinke aus und lasse den Tisch mein Glas wegräumen. »Eigentlich hab ich gerade überlegt, ob ich was essen soll. Hast du zufällig Hunger?«
»Mal sehen.« Sie kaut auf ihrer Unterlippe herum und sieht mich nachdenklich an. »Du hast gesagt, du hättest irgendwie gehofft, ich würde hier auftauchen.«
»Ja. Ich hab mich gefragt, was dieser … äh … Begrüßungsdienst eigentlich ist; wer ihn betreibt und ob man dort noch Freiwillige brauchen kann.«
Sie kneift die Augen zusammen und mustert mich von Kopf bis Fuß. »Glaubst du, du hast dich dazu genügend im Griff? Du möchtest dich also als Freiwilliger engagieren? Ist ja toll!« Eines meiner externen Ermittlungsprogramme meldet sich und teilt mir mit, dass sie sich gerade Zugang zu meinen nicht geheimen Meta-Dateien verschafft hat. Diese ominösen Gebilde aus ärztlichen Notizen folgen uns Patienten wie ein gespenstischer Bienenschwarm, jederzeit bereit, uns beim ersten Anzeichen richtungsloser Aggression zu stechen und dadurch in die Knie zu zwingen. »Du hast wirklich gute Fortschritte gemacht!«
»Ich will hier ja nicht ewig Patient bleiben.« Wahrscheinlich klinge ich leicht defensiv. Vielleicht merkt sie gar nicht, dass ihr Verhalten mir gegen den Strich geht, aber ich mag es nun mal nicht, wenn man mich von oben herab behandelt.
»Weißt du schon, was du tun willst, wenn deine Kontrollwerte wieder so sind, dass man dir allgemeine Bürgerrechte zugesteht?«
»Keine Ahnung.« Ich werfe einen Blick auf die Getränkekarte. »He, ich will dasselbe wie sie«, teile ich dem Tisch mit.
»Warum nicht?« Sie klingt so, als wäre sie auf unschuldige Weise neugierig. Vielleicht ringe ich mich deshalb dazu durch, ihr die ungeschönte Wahrheit zu sagen.
»Ich weiß kaum was darüber, wer ich eigentlich bin. Ich meine, wer ich vorher auch gewesen sein mag, jedenfalls hat mich dieses frühere Selbst einer überaus weit reichenden Gehirnwäsche ausgesetzt. Ich kann mich nicht mehr an meine berufliche Tätigkeit erinnern, weiß nicht, was ich früher getan habe, weiß nicht mal, wo meine Interessen lagen. Tabula rasa, auf der ganzen Linie!«
»O je.« Mein
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