Glashaus
werden, und nehme mir ein Taxi. Das Haus sieht ähnlich aus, wie ich es erwartet habe: völlig chaotisch. Der Reinigungsdienst, den ich beauftragt habe, nachdem ich den Job in der Bücherei erhielt, ist zwar da gewesen, aber er kommt nur einmal pro Woche und Sam hat in der Küche Berge schmutzigen Geschirrs hinterlassen und die Gläser im Wohnzimmer nicht weggeräumt. Ich versuche, gar nicht darauf zu achten, und lege die Beine hoch, doch nach einer halben Stunde reicht es mir. Wenn ich mich hier ein bisschen einrichten will, muss ich mich darum kümmern - das gehört zu der Rolle, die ich spiele -, also trage ich alles, was herumsteht, in die Küche hinüber und lasse den Geschirrspüler laufen. Nach getaner Arbeit lege ich mich ein Weilchen hin. Doch der bösartige Dämon der Unzufriedenheit spukt mir im Kopf herum, deshalb stehe ich wieder auf, um mich dem Wohnzimmer zu widmen. Mir fällt auf, dass die Anordnung der Möbel mir eigentlich überhaupt nicht gefällt. Und das Sofa hat irgendetwas an sich, das mich aus unerfindlichen Gründen nervt. Das Sofa muss raus. Bis es so weit ist, kann ich schon mal alle Möbel umstellen. Plötzlich merke ich, dass es fast schon sechs ist und Sam bald nach Hause kommen wird.
Ich bin zwar eine völlig unbegabte Köchin, schaffe es aber, aus den Zubereitungsanleitungen auf den Tiefkühlpackungen einigermaßen schlau zu werden, und lege gerade das Besteck auf dem Esstisch im Tagesraum aus, als ich die Tür klappern höre.
»Sam?«, rufe ich. »Ich bin wieder da.«
»Reeve?«
Als ich in die Diele gehe, stutzt er. »Reeve?« Er starrt mich mit offenem Mund an - ein köstlicher Moment.
»Ich bin am Kosmetikstand in ein paar Farbtiegel gefallen«, sage ich. »Gefällt’s dir?«
Nachdem er mich einen Augenblick mit zusammengekniffenen Augen gemustert hat, überwindet er sich zu einem Nicken. Ich trage nicht nur Make-up, sondern auch das schärfste, offenherzigste Kleid, das ich auftreiben konnte. Gegen ein Kompliment hätte ich ja nichts einzuwenden, aber Sam war nie sonderlich gut darin, Gefühle zu zeigen, und nach seinen Maßstäben bin ich wohl recht weit vorgeprescht. Jetzt fällt mir auch auf, dass er müde aussieht und die Schultern, die in einem Jackett stecken, hängen lässt.
»Hast du einen schweren Tag gehabt?«
Wieder nickt er. »Ich, äh«, er holt Luft, »ich dachte, du wärst krank.«
»Bin ich auch.« Ich bin müder, als ich ihm gegenüber zugeben will. »Aber ich bin froh, wieder zu Hause zu sein. Dr. Hanta hat mich für die kommende Woche krankgeschrieben, also wollte ich dir eine kleine Überraschung bescheren. Hast du schon Hunger?«
»Hab’s Mittagessen ausgelassen. Hatte nicht viel Appetit.« Er wirkt nachdenklich. »War wohl keine gute Idee, wie?«
»Komm mit.« Ich führe ihn ins Esszimmer, sorge dafür, dass er sich setzt, gehe in die Küche, schalte die Mikrowelle ein, greife nach den beiden Gläsern, die ich mit Wein gefüllt habe, und nehme sie mit zum Tisch. Er sagt zwar nichts, ist aber äußerst angespannt. Seine Blicke durchbohren mich wie Kugeln. »Hier. Wollen wir anstoßen? Auf unsere Zukunft?«
»Unsere … Zukunft?«, fragt er verwirrt, doch dann scheint sich etwas in seinem Kopf zu klären. Offenbar hat er einen inneren Vorbehalt überwunden, denn jetzt hebt er das Glas und lächelt mir schließlich zu. »Ja.«
Ich haste zurück in die Küche, um unser Abendessen aus der Mikrowelle zu holen und aufzutischen. Ehrlich gesagt, schmecke ich kaum was vom Essen, denn ich habe nur Augen für Sam. Ich war so kurz davor, ihn zu verlieren, dass mir jeder Augenblick so kostbar und zerbrechlich wie Glas erscheint. Was ich für ihn empfinde, ist große, komplexe Zärtlichkeit. »Erzähl mir, was heute bei dir los war«, fordere ich ihn auf, um ihn aus der Reserve zu locken. Er murmelt irgendwas daher, das ich nicht recht verstehe, erzählt von verschwundenen Urkunden, die irgendwie mit dem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und der Einziehung von Vermögen zu tun haben. Und dabei beobachtet er die ganze Zeit meine Reaktionen, sodass ich ihn ermahnen muss, überhaupt was zu essen. Als er fertig gegessen hat und ich um den Tisch herumgehe, um seinen Teller abzuräumen, spüre ich, wie mich seine heißen Blicke verfolgen. »Wir müssen reden«, erkläre ich.
»Ja, das müssen wir.« Er ist innerlich so aufgewühlt, dass seine Stimme gepresst klingt. »Reeve!«
»Komm mit.«
Er steht auf. »Wohin? Worum geht’s?«
»Komm schon.« Als ich ihn
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