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Glashaus

Titel: Glashaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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halte, jemandem eine dritte Gelegenheit zu geben.«
    Ich nicke und ringe nach Luft. Das Entsetzliche ist, dass ich mit meinem inneren Auge alles deutlich sehen kann: wie ich mich im Körper von Fiore an Mick heranschleiche, der wieder und wieder in Cass hineinstößt, während sie sich hilflos hin und her wirft - wahrscheinlich hat er ihr die Arme gefesselt. Wie ich Mick mit einem Totschläger eins über den Schädel ziehe, sodass er das Bewusstsein verliert. Robin, mein anderes Ich, geht dabei nicht sonderlich achtsam vor, denn inzwischen treibt ihn nicht mehr bloße Wut dazu. Es ist ihm egal, ob er bei Mick schwere Gehirnblutungen auslöst. Schon gar nicht kümmert es ihn, ob Mick nochmals das Bewusstsein erlangt oder nicht. Eigentlich wäre es seiner Meinung nach sogar sehr schlecht, sollte Mick wieder zu sich kommen, zumindest für Cass. Und jetzt, wo er genauer darüber nachdenkt, fällt ihm ein, dass er Mick vielleicht dazu benutzen kann, allen Soziopathen mit Borderline-Syndrom, allen potenziellen Nachahmungstätern, eine Botschaft zukommen zu lassen …
    Das ist überaus typisch für mich. Für mich, wie ich früher war, allerdings nicht vor dem Krieg, denn damals war ich ein stiller, friedlicher Geschichtsforscher, der sich liebevoll seiner Familie widmete. Und es ist auch nicht typisch für mein gegenwärtiges Ich, denn das ist ein bisschen flatterhaft und macht sich klein, weil es zu seiner Freude entdeckt hat, dass man nach einem - dem Gefühl nach - lebenslangen Kampf auch kapitulieren kann. Nein, es ist typisch für mich, wie ich in der mittleren Phase war, als grausame Tötungsmaschine.
    Doch als ich Robins Blick begegne, entdecke ich eine schreckliche Traurigkeit darin, ein krankhaftes Schuldgefühl. Und das spiegelt genau das wider, was ich bei dem Wissen empfinde, dass ich ihn unbedingt dem Bischof ausliefern muss, denn wir können es uns nicht leisten, von einem unserer ehrbarsten Bürger einen todbringenden Doppelgänger frei herumlaufen zu lassen …
    Ich greife nach dem Erstbesten, das ich in die Finger bekomme: einem schweren Stoß von Computerausdrucken, der zu den Curious Yellow-Kopien aus dem oberen Schrank gehört. Hastig mache ich zwei Schritte vorwärts, hebe den Stapel hoch und schlage ihm damit, so heftig ich kann, auf den Kopf. Er sackt zusammen und fällt auf den Bauch, aber ich verzichte darauf, noch länger dazubleiben und ihm den Rest zu geben. Stattdessen drehe ich mich um und renne auf die Treppe zu. Falls ich es bis nach oben schaffe und die Falltür zuschlage, wird er hier unten so lange festsitzen, dass ich in der Zwischenzeit …
    »Wolltest du irgendwohin?«, fragt Janis gedehnt. Sie steht auf der obersten Stufe und hat eine Betäubungswaffe auf mich gerichtet. Als ich sehe, wie ihr Abzugsfinger am Gewehrbügel sich spannt und weiß anläuft, hebe ich langsam die Hände hoch. »Tu’s nicht …«
    Aber sie tut es.

    Ich stöhne und versuche, mir an den Kopf zu langen, der dort, wo Reeve mir eins übergezogen hat, höllisch schmerzt. Als jemand nach meinem Handgelenk greift und versuchsweise daran zerrt, schlage ich die Augen auf. Es ist Janis, und sie wirkt besorgt. »Was ist passiert?«, frage ich.
    »Ich hab sie erwischt, als sie die Treppe hochgerannt ist. Sie wollte eiligst irgendwohin.« Janis mustert mich. »Was ist mit dir?«
    Als ich meinen Kopf berühre, tut das so weh, dass ich zusammenzucke. »Sie hat mir eins übergezogen, ich glaube mit irgendwelchen Akten. Ich bin hingefallen.« Ich komme mir vor wie ein Idiot, und mir ist leicht übel. Als ich mich umblicke, fährt mir der Schmerz in den Hals. »Bin mit dem Kopf auf der Fußleiste des A-Tors aufgeschlagen.«
    »Dann war’s ja ein Glück, dass ich rechtzeitig da war.«
    »Ha! Hat nie was mit Glück zu tun, wenn du deine Finger im Spiel hast.«
    »Das war in einem anderen Leben«, erwidert sie gedankenverloren. »Kommst du allein zurecht? Ich muss den Laden hier dichtmachen.«
    »Dann tu das.« Stöhnend und schwer atmend rappele ich mich hoch. Fiores Körper hat zwar einige Schwungkraft und ist gut gepolstert, aber nicht dafür geschaffen, einen solchen Aufprall locker wegzustecken. »Wenn irgendjemand uns hier entdeckt …«
    »Ich werd schon fertig mit denen.«
    Während Janis nach oben verschwindet, setze ich mich auf und kämpfe gegen den Brechreiz an. Fast hätte Reeve uns beide ans Messer geliefert. Ich bin entsetzt darüber, wie nah ich dran war, die ganze Sache zu vermasseln. Hätte ich nicht

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