Glashaus
herausbekommen, wer Janis früher war, wäre ich hier unten auf mich allein gestellt gewesen, und Reeve hätte mich ohne mit der Wimper zu zucken umgebracht. Denn so hat’s die Ärztin ihr verordnet.
Ich werde Reeve einen Riegel vorschieben müssen, und das ist keine Sache, auf die ich mich freue. Zweifellos hat Hanta - besser gesagt: Oberst Vyshinski, Doktor der Chirurgie, denn so lautet ihr richtiger Name - an Reeve herumgepfuscht. Aber eine ganze Woche Lebenszeit zu verlieren, ist nichts, was ich auf die leichte Schulter nehme. Außerdem weiß Reeve Dinge, die nützlich sein könnten. Dilemma über Dilemma. Wenn es eine Möglichkeit gäbe, die Gehirnwäsche, die Hanta ihr verpasst hat, ganz einfach rückgängig zu machen … Scheiße . Soweit ich weiß, ist Hanta eine Künstlerin auf ihrem Gebiet. Vermutlich hat sie einen teuflisch subtilen Eingriff in Reeves Motivationsmuster und Wertsysteme vorgenommen und für psychische Abreaktionen gesorgt. Die Persönlichkeit ist dabei intakt geblieben, nur hat Hanta einige Charaktermerkmale neu gewichtet, gerade so viel, dass es ausgereicht hat, Reeve in eine brave kleine Hure zu verwandeln, die für Punkte alles tut.
Ich sitze mit gespreizten Beinen da und atme aufgrund meines enormen, fassförmigen, wabbeligen Bauches ein bisschen schwer. Ich versuche mit der Tatsache klarzukommen, dass ich meine bessere Hälfte töten muss, und das ist deprimierend, auch wenn es keineswegs das erste Mal ist.
Da von oben Krach zu hören ist, stehe ich keuchend auf und watschele zur Treppe hinüber, um nachzusehen, was da los ist. Ich hasse diesen Körper, aber er ist in der Hinsicht nützlich gewesen, dass er mir Zugang zu Orten verschafft hat, in die sonst keiner von uns hineingelangt wäre. Yourdon, Fiore und Hanta haben die innere Sicherheit vernachlässigt und offenbar die Authentifizierungsvorschriften vergessen, die einen Reim bilden, damit man sie nicht so leicht vergisst. Und in diesem Reim wird ein Identitätsnachweis verlangt, der sich auf verschiedene Interna bezieht:
Verrate ein Wissen, das nur wir teilen.
Deine Nachricht soll uns zu festgesetzter Zeit ereilen.
Nenn uns ein Geheimnis und beweise, wer du bist,
durch etwas, das nur dir eigen ist.
Vermutlich reicht das Letztere - etwas, das nur dir eigen ist - aus, wenn man die Kontrolle über sämtliche Assembler in einem Gemeinwesen hat, aber trotzdem …
Ich warte unten an der Treppe. »Wer ist da?«, rufe ich leise.
»Ich bin’s«, erwidert Janis. »Du musst bei ihr mit anfassen.«
»Hm.« Ich schleppe mich die Treppe hoch. Oben wartet Janis mit Reeve, deren Handgelenke und Fußknöchel mit Klebeband aus der Bücherei gefesselt sind. Reeve zuckt leicht hin und her und weist Anzeichen dafür auf, dass sie bald wieder zu sich kommen wird. »Was sollen wir deiner Meinung nach mit ihr tun?«
»Kannst du sie nach unten schaffen?«, fragt Janis außer Atem.
»Ja.« Ich beuge mich vor und packe Reeve bei den Knöcheln. Mein Körper ist zwar so übergewichtig, dass er geradezu grotesk wirkt, aber schwach ist er nicht. Während ich Reeve anhebe und nach unten schleppe, hält Janis ihr die Arme so hoch, dass ihr Kopf nicht gegen die Stufen prallt. Unten angekommen, ziehe ich sie zum A-Tor. Inzwischen verdreht sie die Augen und läuft im Gesicht rot an. Voller Selbsthass beuge ich mich vor. »Was würdest du tun?«, frage ich sie.
»Mmf! Mmf.«
Trotzig bis zum Schluss - das ist typisch für mich. Ich blicke zu Janis hinauf. »Warum hast du sie nicht getötet?«
»Ich wollte es nicht.«
»Wie bitte? Willst du denn …«
»Schieb sie einfach ins Tor!« Sie klingt gestresst.
Ich schiebe meine Hände unter Reeves Achseln und hebe sie an. Sie macht sich schlaff und versucht mich mit ihrem vollen Gewicht zu belasten. »Mir gefällt das hier genauso wenig wie dir«, sage ich. »Aber diese Stadt ist zu klein für uns beide.«
Während ich sie im A-Tor ablade, tritt sie mit beiden Beinen um sich, aber ich bin darauf gefasst und versetze ihr einen Schlag in die linke Niere, sodass sie sich zusammenkrümmt. Gleich darauf stoße ich die Tür zu. »Also?«, frage ich Janis mit finsterem Blick. »Was jetzt?« Ich fühle mich beschissen. Wenn ich mich selbst töte, fühle ich mich immer so. Deshalb beuge ich mich Janis’ Entscheidungen, glaube ich. Lade die harten Entscheidungen jemand anderem auf die Schultern.
Janis beugt sich über die Steuerkonsole. »Versuche gerade, hier durchzusteigen«, murmelt sie. »Hör mal, ich
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