Glashaus
bringt, sodass ich hochfahre - und zwar so plötzlich, dass mir schwarz vor Augen wird und ich fast hinfalle -, ist das, was ich aus dieser Veränderung schließen muss: Jemand hat sich an meinem Back-up zu schaffen gemacht! Und gleich darauf wird mir klar: Ich bin das Back-up! Irgendwo ist eine andere Version von mir auf der Strecke geblieben.
»Scheiße«, sage ich laut und lehne mich gegen die mit Reif überzogene Kabinentür. Auch meine Stimme klingt merkwürdig fremd: eine Oktave höher und wärmer als früher. »Scheiße, Scheiße, Scheiße.«
Ich kann ja nicht ewig hier drinnen bleiben. Aber was mich draußen auch erwarten mag, es kann auf keinen Fall positiv sein. Während ich mich gegen ein wachsendes Angstgefühl wehre, greife ich nach der Türklinke. Erst jetzt merke ich, dass ich nichts anhabe. Eigentlich ist das ja nicht weiter verwunderlich: Meine Fraktaljacke bestand aus T-Toren, und T-Tore zählen zu den Dingen, die ein Assembler nicht fabrizieren kann. Aber auch meine Leggings sind verschwunden, und die waren aus einem ganz gewöhnlichen Stoff. Hier war tatsächlich ein Hacker am Werk, und zwar gründlich, wird mir mit zunehmendem Entsetzen bewusst. Die Tür gleitet auf, und ein Luftzug dringt herein, der mir kühl vorkommt, während er über meine feuchte Haut streicht. Ich kneife die Augen zusammen und sehe mich um: Das hier sieht zwar wie meine Wohnung aus, doch auf dem niedrigen Arbeitstisch neben dem Stuhl liegt ein kleiner weißer Slate-PC, der momentan nichts anzeigt. Der Sprengsatz ist verschwunden und die Tür wieder sichtbar in die Wand eingefügt. Als ich näher hinsehe, fällt mir auf, dass die Tür die falsche Farbe hat und der Stuhl anders aussieht als derjenige, den der Assembler in meiner Wohnung für mich produziert hat.
Auf dem Slate blinken jetzt rote Buchstaben auf: SOFORT LESEN!
»Später.« Zitternd blicke ich zur Tür und mache mich auf den Weg ins Bad. Der unbekannte Hacker, der mich erwischt hat, steht offensichtlich nicht unter Zeitdruck, also kann ich mir genauso gut Zeit lassen und meine Gedanken ordnen, bevor ich mich mit ihm auseinandersetze.
Die Badezimmer in den Wohnungen des Reha-Zentrums sehen alle gleich aus: Es sind ovale, weiß gekachelte Räume, ausgestattet mit Wasser- und Luftdüsen und variabler Beleuchtung, deren Strahler einem überallhin folgen, Abwasserrohren und Klappvorrichtungen, die man in die Wände versenken kann. Ich stelle einen harten, heißen Duschstrahl ein und begebe mich, vor Angst zitternd, darunter, bis sich meine Haut rau geschrubbt und sauber anfühlt.
Ein Hacker hat mich erwischt. Und ich kann nichts tun, als durch die Reifen zu springen, die er mir hinhält, und dabei nur hoffen, dass man mich am Ende entweder ganz und gar erledigt oder ziehen lässt. Widerstand ist in diesem Fall zwecklos, wie man so schön sagt. Wenn sich jemand so tief in mein Back-up gehackt hat, dass er in der Lage war, mir einen neuen Körper aufzuzwingen, dann kann er jetzt mit mir anstellen, was er nur will. Ein Chaos in meinem Kopf anrichten, mehrere Kopien von mir erstellen, sich Zugang zu meinen persönlichen Codes verschaffen. Er könnte sogar den Körper eines Zombies erzeugen, ihn Beliebiges tun lassen und ihn als mich ausgeben. Wenn er dafür sorgen konnte, dass ich im A-Tor eines fremden Zimmers aufgewacht bin, muss er sich meinen Zustandsvektor geschnappt haben. Also könnte ich tausendmal weglaufen und hundert Tode sterben - und würde dennoch wieder in dieser Kabine aufwachen, aufs Neue eingesperrt.
Identitätsraub ist ein hässliches Verbrechen.
Ehe ich das Bad verlasse, mustere ich meinen neuen Körper gründlich im Spiegel. Schließlich habe ich ihn noch nie gesehen und habe das unangenehme Gefühl, dass er mir etwas darüber verraten kann, was meine Verfolger von mir erwarten.
Es stellt sich heraus, dass ich zwar einen unverändert menschlichen, weiblichen Körper besitze, aber nicht übertrieben weiblich. Schätzungsweise bin ich fünfzehn Zentimeter kleiner als früher, symmetrisch gebaut und habe eine reine Haut und schönes Haar. Es ist ein recht gut aussehender Körper, ohne dass man mir allzu auffällige Sexualmerkmale aufgezwungen hat - ich bin kein Püppchen. Ich habe breite Hüften, eine schmale Taille, größere Brüste, als mir lieb ist, hohe Wangenknochen, volle Lippen und einen Teint, der für meinen Geschmack zu blass ist. Die klare, hohe Stirn wölbt sich über blauen Augen westlichen Zuschnitts, ohne asiatische
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