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Glashaus

Titel: Glashaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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auch dafür, Menschen bis zur molekularen Ebene zu dekonstruieren, zu kartieren und anschließend wieder zusammenzusetzen. Um ein Back-up einscannen zu lassen, setzt man sich einfach in die Assemblerkabine und weist die eigene Netzverbindung an, das Back-up vorzunehmen. Das erfolgt nicht unverzüglich, denn diese Prozedur stützt sich nicht auf die Magie von Wurmlöchern, sondern auf die rohe Gewalt der nanotechnologischen Demontage. Es könnte einen durchaus stören, in der zähen Brühe der Blaupausenproduktion festzusitzen, bis man absorbiert, digitalisiert und wieder zusammengesetzt ist, aber dieses Gefühl bleibt einem erspart, weil die Netzverbindung einen abkoppelt, sobald sie damit beginnt, den neuronalen Zustandsvektor des menschlichen Originals auf den Zwischenspeicher des Assemblers heraufzuladen.
    Was mich beunruhigt, ist die Zeitverzögerung. Die Idee, auch nur eine Minute vom Netz abgekoppelt zu sein, gefällt mir ganz und gar nicht, solange eine unbekannte Partei versucht, mir meine Identität zu rauben. Andererseits wäre es bei meinen derzeitigen Vermutungen tollkühn, kein Back-up anzulegen. Falls es meine Gegner wirklich schaffen, mich zu erwischen, soll meine nächste Kopie bis ins Detail über alles informiert sein (auch über Kay). Da wirklich kein Weg am Back-up vorbeiführt, treffe ich Vorsichtsmaßnahmen. Ehe ich mich in die Kabine setze, benutze ich das A-Tor dazu, einige an sich harmlose Gegenstände zu produzieren, die, wenn man sie kombiniert, einen sehr fiesen Sprengsatz ergeben. Nachdem ich ihn installiert habe, hole ich tief Luft und bleibe fast eine Minute stehen, ohne mich zu rühren, das Gesicht der offenen Kabinentür zugewandt. Wohlgemerkt nur zu dem Zweck, meine Nerven zu beruhigen.
    Erst danach gehe ich hinein und sage: »Leg ein Back-up an!« Die Kabine produziert einen Sitz, auf dem ich Platz nehme, die Tür schließt sich, und das Signal IN BETRIEB leuchtet auf. Ich kann gerade noch erkennen, wie eine milchige bläuliche Flüssigkeit durch die Bodenschlitze hereinströmt, dann wird alles trübe, und ich fühle mich unsäglich müde.
    Und jetzt zu den Nachwirkungen: Normalerweise wacht man nach einer Phase der Bewusstlosigkeit mit benommenem Kopf und ein bisschen nass auf. Sobald die Tür sich öffnet, geht man sich duschen, um die vom Assembler hinterlassenen Reste von Gel abzuspülen. Man hat rund tausend Sekunden verloren. In dieser Zeit hat sich eine Membran, die mit unzähligen vollautomatischen Demontageköpfen in der Größe riesiger Proteinmoleküle ausgestattet ist, Nanometer für Nanometer durch den menschlichen Körper gefressen und einen dabei bis zur Molekularebene zerlegt, den inneren Zustandsvektor aufgezeichnet, eine neue Kopie hinterlegt und gleichzeitig einen Scan des Tanks durchgeführt. Aber das merkt man gar nicht, denn während dieser Zeit ist man hirntot. Und wenn sich die Tür des Assemblers wieder öffnet, kann man sein Leben genau an dem Punkt fortsetzen, an dem man sich vor dem Back-up befunden hat. Selbstverständlich fühlt man sich leicht benebelt, wenn man wieder zu sich kommt, aber man ist immer noch derselbe Mensch. Und der Körper...
    … ist nicht mehr der eigene. Ich stecke im falschen Körper!
    Als ich allzu schnell aufzustehen versuche, geben die Knie unter mir nach. Ich sacke gegen die Kabinenwand, und mir wird schwindlig. Während ich gegen die Wand schlage, merke ich, dass ich zu klein bin. Immer noch befinde ich mich in einem Zustand, in dem ich eher etwas spüre, als es gedanklich zu erfassen. Das Nächste, was ich weiß, ist, dass ich wieder sitze und die Kabine beklemmend eng ist, weil meine Hüften zu breit sind. Mein Rumpf kommt mir zu kurz vor. Aber das ist noch längst nicht alles. Meine Arme fühlen sich … seltsam an, nicht unpassend, nur anders als früher. Als ich eine Hand hoch strecke und sie anschließend in meinen Schoß fallen lasse, merke ich, dass meine Oberschenkel zu dick sind. Und noch etwas: Oh, denke ich und lasse die Hand zwischen meine Beine gleiten. Ich bin kein Mann mehr, sondern eine Frau. Ich strecke die andere Hand hoch, um über meine Brust zu tasten. Eine Frau in natürlicher menschlicher Gestalt.
    An sich ist das ja keine große Sache. Ich bin auch früher schon ein Mensch weiblichen Geschlechts gewesen, allerdings weiß ich nicht mehr, wann und für wie lange. Es ist zwar nicht gerade der Körper, den ich freiwillig gewählt hätte, aber für den Augenblick kann ich damit leben. Was mich zum Ausrasten

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