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Glashaus

Titel: Glashaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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Name vermuten lässt, und ich fühle mich ein bisschen zu schlicht angezogen, als der Restaurantchef mich zu einer Nische geleitet, in der Jen Hof hält. Ich habe einen einfachen Rock und einen Pullover an, während Jen ein noch extravaganteres Kleid als sonst trägt - ein Gespinst aus Insektenspucke - und wie jeden Tag bestimmt drei oder vier Stunden auf ihr Make-up und die Haare verwendet haben muss. Angel versucht eigentlich nicht bewusst, sie nachzuäffen. Vielmehr zieht Jen sie im Schlepptau mit, sodass sie auch auf dieser Welle reitet. Dagegen wirkt Alice so, als fühle sie sich in Gegenwart der beiden leicht unwohl. Aber was geht’s mich an? Es sind einfach Menschen, mit denen ich reden kann. Außerdem sind wir durch die gemeinsame Punktewertung so aneinander gebunden, dass ich sie nicht links liegen lassen kann. Ähnliche Gefühle müssen unsere Vorfahren wohl ihren Familien entgegengebracht haben.
    »Hallo, ihr drei«, sage ich und ziehe mir einen Stuhl heran. »Wie geht’s euch heute?«
    Jen deutet zu einem Metalleimer auf einem Gestell hinüber, der mit einem Tuch verhängt ist. »Heute machen wir einen drauf!«, verkündet sie. »Mädels, ein Glas für Reeve. Hast du Lust, mit uns einen kleinen 59er Chateau Lafitte zu trinken?«
    »Einen kleinen …« Als sie das Tuch vom Eimer zieht, sehe ich, dass darin eine grüne Glasflasche auf viel Eis liegt.
    »Champagner«, sagt Alice in leicht entschuldigendem Ton. »Schaumwein.«
    »Da würde ich an deiner Stelle nicht nein sagen.« Während Jen die Flasche nimmt, um einzuschenken, streckt Angel ihr ein Glas hin, das wie eine Flöte geformt ist.
    »Meine Güte, gibt es was zu feiern?« Da Jen und Angel vor dem Abend normalerweise nichts Alkoholisches trinken, kann ich mir zusammenreimen, dass es ein erfreulicher Anlass sein muss.
    »Na ja.« Jens Augen glitzern boshaft. »Vielleicht denkst du jetzt, es hätte was damit zu tun, dass du deine letzten sozialen Mängel doch noch behoben hast, aber das ist nicht der Anlass.« Ich spüre, wie mir die Hitze ins Gesicht steigt. Alte Hexe. »Nur ist das hier für einige Zeit Alices letztes alkoholisches Getränk.«
    »Wie bitte?«, frage ich verständnislos.
    »Für die nächsten acht Monate«, sagt Alice und tupft sich mit einer Serviette die Lippen ab. Ihre Augen huschen wie Hilfe suchend zwischen mir und Jen hin und her.
    »Ich …« Ich befeuchte meine Lippen. »Bist du schwanger?«
    »Ja.« Alice nickt eifrig, aber sie sieht nicht gerade glücklich dabei aus, während Jen geradezu verzückt wirkt.
    »Auf Alice und ihr Baby!« Jen hebt ein Glas voll schäumender Flüssigkeit, und ich tue es ihr nach, weil alles andere unhöflich wäre. Aber während ich einen Schluck des süßlichen Schaumweins trinke, begegne ich Alices Blick, und es kommt mir so vor, als wäre ich Zeugin einer statischen Entladung: Ich kann genau sehen, was sie denkt.
    »Auf deine Gesundheit«, sage ich über den Glasrand hinweg und bin mir dabei ziemlich sicher, dass sie die unausgesprochene Botschaft mitbekommen hat, denn ihre Schultern sacken leicht nach unten, während sie an ihrem Glas nippt. Ich blicke zu Jen hinüber. »Und du?«, frage ich, ehe ich meinem Mund die Zügel anlegen kann.
    Jen bringt nicht einmal ein Lächeln zustande. »Dürfte nicht mehr lange dauern«, bemerkt sie durchaus gelassen. »Dann könnt ihr mir auch eine Flasche Champagner ausgeben, okay?«
    Irgendwie schaffe ich es, den Anflug eines Lächelns auf mein Gesicht zu zaubern. »Du wünschst dir sicher unbedingt ein Baby.«
    »Na, klar! Und ich werde es nicht bei einem belassen.« Jen lächelt mich wohlwollend an. »Natürlich habe ich schon alle Einzelheiten über deinen Job gehört. Die Arbeit ist bestimmt schwierig.«
    »Der Job ist gar nicht schlecht«, bringe ich heraus, ehe ich mich wieder meinem Glas zuwende. Alte Hexe. »Weißt du, dass auch Janis schwanger ist?« Ich wette, das weißt du schon. »Ich werde zu ihrer Nachfolgerin ausgebildet.« Was ist hier nur los? Ist das die Woche, in der wir Frauen alle aufgerufen sind, die Grenzen unserer lebenserhaltenden Systeme auszuloten? »Für uns Übrige bedeutet das Mehrarbeit.«
    »Oh, du bist als Nächste dran«, sagt Jen mit derart beiläufiger, lässiger Gewissheit, dass es mir eiskalt über den Rücken läuft. »Auch du wirst die Dinge anders sehen, wenn du erst mal ein eigenes Baby hast. - Hallo, Bedienung! Kellner! Wo bleibt unsere Speisekarte?«

9
    das geheimnis
     
     
     
    DIE ZEIT VERGEHT SCHNELL, zumal

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