Glashaus
betrifft. Außerdem ist alles, was nach 2005 passierte, sowieso nur über die Computer zugänglich. Und dazu muss man ein ominöses, sprachgesteuertes Interface benutzen, mit dem ich trotz allen Bemühens noch immer nicht klarkomme.
Derzeit sehe ich relativ wenig von Sam. Nach unserem Streit hat er sich trotz unserer halbherzigen Versöhnung von mir zurückgezogen. Kann sein, dass ihm das Wissen um die eigene Zeugungsfähigkeit einen Schock versetzt hat, jedenfalls verhält er sich überaus distanziert. Vor dem Albtraum, ehe ich alles zwischen uns vermasselt habe, konnte ich ihn ohne Weiteres umarmen, wenn er von der Arbeit nach Hause kam. Wir haben zusammen gelacht oder uns miteinander unterhalten und waren dabei, freundschaftliche oder mehr als freundschaftliche Gefühle füreinander zu entwickeln, da bin ich mir ganz sicher. Doch seit jener Nacht und unserem Streit haben wir einander nicht mehr berührt. Ich fühle mich isoliert und bin ein bisschen verängstigt. Würden wir einander berühren, dann würde ich … Ach, ich weiß es nicht.
Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Zwar ist mein Sexualtrieb recht ausgeprägt, aber die Vorstellung, in diesem Gemeinwesen schwanger zu werden, macht mir höllische Angst. Sicher könnten wir auch andere Dinge praktizieren, als miteinander zu schlafen, wären wir auf Intimitäten aus, doch ich empfinde die ganze Situation als sehr wirksames Bremsmittel. Also kann ich Sam eigentlich keinen Vorwurf daraus machen, dass er mir möglichst aus dem Weg geht. Je eher er hier rauskommt, desto schneller kann er losrennen und nach seiner romantischen Liebe suchen - vorausgesetzt, die Schlampe hat ihn nicht schon fünf Sekunden nach dem Abschied im Stich gelassen und sich nach einer polygamen Gruppe umgesehen, mit der sie frohgemut Körperflüssigkeiten austauschen kann. Sam bläst Trübsal. Und da ich sein glückliches Händchen kenne, könnte ich wetten, dass er sich auf eine Person fixiert hat, der ich nicht mal die Uhrzeit sagen würde.
Tja, so spielt das Leben.
Vier Wochen, nachdem ich meinen Job angetreten habe, zwölf Wochen vor Janis’ Mutterschaftsurlaub, habe ich erneut einen Albtraum, aus dem ich schreiend hochschrecke.
Doch diesmal ist die Situation anders. Schon deswegen, weil Sam beim Aufwachen nicht da ist, um mich in die Arme zu nehmen. Außerdem ist mir mit eiskalter Gewissheit klar, dass dieser Albtraum auf wahren Ereignissen beruht. Es ist nicht nur ein grässlicher Traum, sondern etwas, das mir tatsächlich zugestoßen ist. Etwas, das den Eingriff in der Klinik überdauert hat, vielleicht absichtlich überdauern sollte.
In einem engen rechteckigen Raum ohne Fenster und Türen sitze ich an einem Schreibtisch. Die Wände sind altgold gestrichen und haben einen dumpfen, aber dennoch schillernden Farbton. Immer, wenn ich den Blick vom Schreibtisch hebe, funkeln die gebrochenen Lichtstrahlen im Spektrum des Regenbogens. Ich stecke in einem echten menschlichen Körper und bin ein Mann, nicht die mechanisch verstärkte Kampfmaschine des früheren Albtraums. Ich trage das schlichte Oberteil einer Kombination, die ich vage als Krankenhaustracht der Klinik von Chirurgen und Beichtvätern wiedererkenne.
Vor mir auf dem Schreibtisch liegt ein Stapel groben, handgeschöpften Papiers mit gezackten Rändern. Vor langer Zeit habe ich es persönlich hergestellt, und es ist so alt, dass seine Herkunft nicht mehr festzustellen ist. In meiner linken Hand halte ich eine einfache Schreibfeder mit einem Griff, den ich aus dem Oberschenkelknochen meines letzten Körpers geschnitzt habe - ein bisschen Eitelkeit muss sein. Auf der anderen Seite des Schreibtischs steht ein Tintenfass. Ich weiß noch, dass es verblüffend viel Zeit und Geld gekostet hat, diese Tinte zu beschaffen. Auch die Herkunft der Tinte ist nicht mehr zurückzuverfolgen. Die darin enthaltenen Rußpartikel sind willkürlich - nach dem Zufallsprinzip - eingegebene Isotope. Man kann nicht einmal mehr feststellen, aus welcher Region der Galaxie die Tinte stammt. Anonyme Tinte für eine Gift verspritzende Feder. Wie passend …
Ich schreibe einen Brief an jemanden, der noch gar nicht existiert. Diese Person wird einsam, verwirrt und wahrscheinlich auch sehr verängstigt sein. Ich habe schreckliches Mitgefühl mit diesem einsamen, verängstigten Mann, weil ich selbst schon eine solche Situation erlebt habe und weiß, was er durchmacht. Und ich werde unmittelbar bei ihm sein und jede Sekunde davon miterleben. (Irgendetwas
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