Glashaus
lösen damit den Abzug von Punkten aus. Aber das heißt noch lange nicht, dass jemand die ganze Zeit über an den Schalthebeln sitzt und die Monitore überwacht, stimmt’s?« (Allerdings wäre eine solche Kontrolle durchaus möglich, falls wir in einem rundum überwachten Gefängnis sitzen, das nicht irgendwelche lächerlichen Akademiker, sondern in Wirklichkeit Geheimdienstleute leiten. Aber ich werde denen nicht auf die Nase binden, dass ich das weiß - angenommen, es gibt diese Geheimdienstler tatsächlich. Auf keinen Fall. Schon deshalb nicht, weil mir nicht klar ist, wieso ich das überhaupt weiß.)
»Aber wenn wir beobachtet werden …«
»Hör zu.« Ich lege den Löffel ab. »Wir sind für mindestens drei Jahre hier, wobei die Höchstgrenze unbekannt ist, und wir sind zeugungsfähig . Für mich klingt das ganz so, als hätten sie vor, eine Population von echten Bürgern der dunklen Epoche heranzuzüchten. Das hier ist ein isoliertes Gemeinwesen, falls du das vergessen haben solltest. Und das bedeutet, dass es eine geschützte Grenze hat - geschützt durch den Assembler, der auch diese Körper erzeugt hat, mit denen wir ausgestattet wurden. Allerdings erzeugen Assembler nicht nur Dinge, sondern filtern sie auch. Sie sind Firewalls . De facto sind Gemeinwesen unabhängige Netzwerke eng verbundener T-Tore und definiert durch die Firewalls, die ihre Ränder vor allem abschirmen, was durch die Langstrecken-Tore, die T-Tore, einzudringen versucht. Anders ausgedrückt: was ihre Grenzen verletzen könnte. Allerdings kann ein Gemeinwesen durchaus ohne interne T-Tore auskommen. Nicht das Innenleben, sondern die Abgrenzung nach außen macht ein solches Gebilde zum eigenständigen Gemeinwesen. Wir richten uns nach den Regeln dieses Experiments. Heißt das nicht, dass auch jeder, der in dieses Gemeinwesen hineingeboren wird, diesen Regeln unterworfen ist?«
»Und wie steht’s mit dem Recht auf freie Bewegung?« Sam wirkt skeptisch. »Die können die neuen Bürger doch bestimmt nicht davon abhalten auszuwandern, wenn sie das möchten?«
»Das brauchen sie auch gar nicht, wenn diese neuen Bürger nicht wissen, dass eine Außenwelt existiert, in die sie auswandern könnten«, erwidere ich voller Ingrimm. Als ich einen Löffel Suppe nehme, verbrenne ich mir den Gaumen und zucke zusammen. » Autsch. - Wir sollen ja nicht über unser früheres Leben reden. Was, wenn sie das Punktesystem noch ein bisschen rigider machen und wir Punkte verlieren, wenn wir die Außenwelt im Beisein von Kindern oder in der Öffentlichkeit erwähnen? Wie sollen die Neuankömmlinge dann irgendwas darüber erfahren?«
»Das ist doch verrückt.« Er schüttelt nachdrücklich den Kopf. »Warum sollte irgendjemand so was tun wollen? Die ursprüngliche Absicht des Experiments kann ich verstehen. Es geht ihnen darum, die sozialen Bedingungen der dunklen Epoche durch experimentelle Archäologie zu erforschen. Aber wenn sie versuchen, eine ganze Population nicht modifizierter Menschen zu schaffen, die in dieser verrückten Simulation der dunklen Epoche festsitzt und nicht mal weiß, dass das nicht die reale Welt, sondern die Neuinszenierung einer alten Geschichte ist …«
»Ich bin mir noch nicht sicher«, sage ich müde. »Ich bin mir keineswegs sicher, um was es hier geht. Aber was zählt, ist die Tatsache, dass uns wesentliche Informationen vorenthalten werden.«
»Sehr richtig«, erwidert er gequält. »Glaubst du, das ist einer der Gründe dafür, dass sie die Probanden unmittelbar nach dem Eingriff in deren Erinnerungen angeheuert haben?«
»Ja, das ist sicher ein Bestandteil der ganzen Sache.« Über den kalten Kontinentalgraben des Sofas hinweg sehe ich ihn an. »Aber nur ein Bestandteil.« Eben wollte ich sagen, wir müssen hier raus, aber damit ist es jetzt nicht mehr getan. Und trotz allem, was ich gerade offen ausgesprochen habe, gibt es gewisse Dinge, über die ich nicht reden will. Beispielsweise glaube ich nicht, dass man uns jemals wieder hinauslassen wird. Ich weiß nicht, ob für dieses Experiment ein Abschluss vorgesehen ist. Falls diese Sache mit dem Nachwuchs stimmt, sind sie möglicherweise darauf vorbereitet, uns auf unbegrenzte Zeit hierzubehalten. Oder sie haben noch Schlimmeres vor. Mal ganz abgesehen von den wichtigsten Fragen: Wozu das alles? Und warum gerade wir?
Ich gehe am nächsten und auch am folgenden Tag zur Arbeit und bin am Ende meines dritten Arbeitstages völlig erschöpft, genauer gesagt fix und fertig.
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