Glashaus
ausgesprochen.«
Überaus vorsichtig stelle ich den Teller ab, denn es gibt ja eigentlich keinen Grund, ihn Sam an den Kopf zu werfen. Außerdem merke ich, als ich mich ein wenig beruhigt habe, dass er tatsächlich recht hat: Er hat nicht ausgesprochen, dass es meine eigene Schuld gewesen wäre, hätte ich in jener Nacht mit ihm geschlafen und wäre schwanger geworden. Der schlaue Sam.
»Es gehören zwei dazu, sich zu streiten.« Ich befeuchte meine Lippen. »Sam, es tut mir sehr leid wegen neulich Nacht.« Das Nächste geht mir schwer über die Lippen. »Ich hätte dich nicht überrumpeln dürfen. Mir ging’s ziemlich beschissen, doch das ist keine Entschuldigung. Ich bin nicht sonderlich gut darin, mich zurückzuhalten, aber es wird nicht wieder vorkommen.« Und falls doch, werde ich mich bestimmt nicht so wie jetzt dafür entschuldigen.
»So sehr ich dich auch mag, bist du ja nicht gerade ein polygamer Mensch. Und diese ganze Scheiße …« Meine Schultern beben.
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen.« Er tritt einen Schritt vor, und ehe ich weiß, wie mir geschieht, umarmt er mich, und es ist ein wirklich gutes Gefühl, seine Arme um mich zu spüren. »Es ist auch meine Schuld. Ich hätte mich besser beherrschen müssen. Außerdem wusste ich schon lange, dass du ein sexuelles Interesse an mir entwickelt hast. Ich hätte keine Situation heraufbeschwören dürfen, die dich auf den Gedanken bringen konnte …«
Ich schnaube. »Scheiße!«, brülle ich, lasse ihn los und wirble herum.
Die Suppe kocht über, und die Herdplatte riecht widerlich. Ich schalte sie aus und packe den Griff des Topfes, um ihn irgendwo hinzustellen, wo nichts anbrennen kann. Danach suche ich etwas, mit dem ich den Schlamassel aufwischen kann. Derweil fährt Sam wie ein Zombie, der eine ihm eingegebene Prioritätenliste abarbeitet, damit fort, die Spülmaschine systematisch auszuräumen und das Geschirr in die Schränke zu stellen. Irgendwann schaffe ich es, das, was von der Suppe noch übrig ist, in den tiefen Teller umzufüllen und meine Brotscheiben auf eine Platte zu stapeln. Dabei frage ich mich, warum ich nicht gleich die Mikrowelle benutzt habe.
»Wenn ich endlich dazu komme, das zu essen, wird alles kalt sein.«
»Meine Schuld.« Er wirft mir einen um Verzeihung heischenden Blick zu. »Hätte ich dich einfach weitermachen lassen …«
»Äh-äh.« Meine Güte, jetzt entschuldigen wir uns schon gegenseitig dafür, dass wir überhaupt atmen, was ist bloß los mit uns?
»Hör mal, ich möchte dich was fragen. Du erinnerst dich doch noch an den Vertrag, den du … äh … unterschrieben hast? Weißt du noch, ob darin auch die Höchstdauer der Teilnahme festgelegt war?«
»Die Höchstdauer ?« Erschrocken blickt er auf. »Es stand nur eine Mindestzeit von hundert Megs drin. Warum?«
»Man kann sich’s ausrechnen.« Ich nehme meinen Suppenteller und die Platte mit dem Brot und mache mich auf den Weg ins Wohnzimmer. »Der menschliche Nachwuchs, der in der Wildnis unter primitiven Bedingungen großgezogen wurde, brauchte mindestens eine halbe Gigasekunde, bis er ausgewachsen war.«
»Willst du«, Sam geht mir nach, »damit das andeuten, was ich annehme?«
Ich stelle Teller und Platte auf dem hinteren Tisch neben dem Sofa ab und hocke mich auf die Lehne, denn wenn ich mich auf die Polster setze, werden sie versuchen, mich zu verschlucken. »Was will ich denn deiner Meinung nach andeuten?«
»Ich weiß es nicht.« Was bedeutet, dass er es nicht sagen will. Er setzt sich ans andere Ende des Sofas und starrt mich an. »Wir werden beobachtet, stimmt’s? Die ganze Zeit. Hältst du’s für klug, darüber zu reden?«
Ich blase über meine Suppe, damit sie schneller abkühlt. »Nein. Aber es hat ja auch keinen Zweck, sich paranoid zu verhalten, oder? Bald werden mindestens hundert von uns hier sein. Vermutlich kommen auf einen Versuchsleiter jetzt schon zwanzig Probanden. Willst du mir etwa erzählen, dass sie in Echtzeit alles überwachen wollen, was wir zueinander sagen? Vieles, was sich via Netzverbindung im Punktestand niederschlägt, ist vorprogrammiert - es sind vorprogrammierte Ereignisse, die wir zufällig zu bestimmter Zeit auslösen. Wenn jemand in Gegenwart seines Ehemanns oder seiner Ehefrau einen Orgasmus hat, reagiert die Netzverbindung. Wenn ein Haufen Zombies beobachtet, wie jemand in der Öffentlichkeit Eigentum beschädigt oder sich die Kleider vom Leib reißt, melden die Zombies das der Netzverbindung und
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