Glashaus
ich den Nachmittag damit verbringe, die Nase in eine Enzyklopädie zu stecken, um meiner hoffnungslosen Ignoranz in Sachen Bevölkerungspolitik in der dunklen Epoche abzuhelfen. Ich spüre nämlich, dass mein Unwissen mir auf gefährliche Weise schaden kann.
Am nächsten Tag habe ich frei, genau wie an den folgenden drei Tagen. Ich schlafe so lange, dass Sam längst zur Arbeit aufgebrochen ist, als ich aufwache. Später gehe ich nach unten, um zu trainieren. Von den neun anderen Häusern an unserem Straßenabschnitt ist eines inzwischen bewohnt, von Nicky und Wolf, aber Wolf hat einen Job, und Nicky, die unglaublich faul ist, schläft bis mittags. Also laufe ich eine gute Stunde und bin am Ende zwar durchgeschwitzt, aber nicht außer Atem, und es tut mir auch nichts weh. In unserer Biosphäre ist es mittlerweile Frühling geworden, und die Bäume und Blumen beginnen zu blühen. Die Luft ist voller Pollen von zweigeschlechtlichen Pflanzen. Es kitzelt mich so in der Nase, dass ich niesen muss, doch manche der mit dem Pollenflug einhergehenden Düfte, die die Insekten anziehen, riechen durchaus angenehm.
Nach dem Training dusche ich, ziehe mir seriöse Kleidung an und mache mich auf den Weg in die Innenstadt, um im Eisenwarenladen ein paar Dinge einzukaufen. Wenn ich jetzt Geld ausgebe, habe ich ein besseres Gefühl dabei, weil ich weiß, dass es nicht Sams Geld ist. Trotzdem ist mir natürlich klar, dass das naiv von mir ist, denn es handelt sich ja nicht um eine echte Währung, sondern nur um bedeutungsloses Spielgeld, das dazu dient, das Experiment am Laufen zu halten. Mit einer Schweißlampe, Schmelzmitteln, einem Lötkolben, jeder Menge Kupferdraht und anderem Krimskrams verlasse ich den Laden und gehe Haushaltswaren einkaufen.
Bewaffnet mit einer Einkaufsliste, auf der Dinge stehen, von denen ich bis gestern nie gehört hatte, mache ich mich als Erstes auf den Weg zum Drugstore. Was ich besorgen will, sind Erzeugnisse, die die Enzyklopädie unter Sexualhygiene auflistet. Jetzt weiß ich zwar, wonach ich fragen muss, aber das heißt noch lange nicht, dass es das auch zu kaufen gibt. Nach und nach kann ich mir zusammenreimen, dass hinter dem, was fehlt, System steckt. Ich kann ja verstehen, dass auf Progestogenen basierende Verhütungsmittel nicht im freien Verkauf erhältlich sind. Aber warum gibt es keine Schaumpräparate, die das Eindringen von Spermien in die Gebärmutter verhindern? Oder die Plastikkondome, von denen ich gelesen habe? Nach rund halbstündiger Suche komme ich zu dem Schluss, dass der Drugstore absichtlich keines dieser nützlichen Dinge anbietet. Jüngst bin ich auf einen recht schockierenden Artikel gestoßen, in dem es um religiöse Ansichten zu Sex und Fortpflanzung ging, und es sieht ganz so aus, als orientierte sich das Angebot unseres Drugstore an den Instruktionen von Hohen Priestern einer willkürlich zusammengestoppelten Religion. Irgendetwas sagt mir, dass das Fehlen von Verhütungsmitteln kein Zufall ist. Es wundert mich nur, dass mir noch keine Beschwerden anderer Versuchsteilnehmer zu Ohren gekommen sind.
Mehr Glück habe ich im Kaufhaus, wo ich einen Mikrowellenherd, einige Klemmleuchten und ein paar andere Dinge erwerbe. Danach halte ich nach einem Geschäft für kunsthandwerklichen Bedarf Ausschau. Es dauert eine Weile, bis ich das Gesuchte finde, aber schließlich entdecke ich den Karton in einer Ladenecke: Es ist ein kleiner Webstuhl aus Holz, der zum Weben von Stoffen geeignet ist. Damit niemand die Augenbrauen hochzieht, kaufe ich ihn zusammen mit jeder Menge Wolle. Danach fahre ich mit dem Taxi nach Hause und verstaue meine Kriegsbeute in der Garage, neben der noch nicht vollendeten Armbrust und den anderen Werkstücken.
Es ist an der Zeit, etwas in Bewegung zu setzen. An der Zeit, der Tatsache ins Auge zu blicken, dass ich mich aus dieser Situation nicht allein herauskämpfen kann und sie mich in den nächsten vierundneunzig Megasekunden (ich habe auf dem Kalender nachgesehen) auch nicht ziehen lassen werden. Die Armbrust und die anderen Spielzeuge, mit denen ich herumexperimentiert habe, kann ich vergessen. Ich stehe vor einer verrückten Wahl: Einerseits habe ich die Möglichkeit, mich wie alle anderen anzupassen und mich wie eine Einheimische in dem für uns eingerichteten winzigen Gemeinwesen zu verhalten. Ich kann mich hier fest etablieren. Kann die Aufgabe übernehmen, eine Generation von unschuldigen Kindern zu zeugen, die nicht einmal ahnen, dass es draußen
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