Glatze mit Sommersprossen
erkannt. Sie gehörte zu Friedrich Walleritz, meinem Schwager. Und ich gebe auch sofort zu, daß ich dem Mann meiner Schwester Helene nicht besonders gewogen bin.
Es gab eine Menge Gründe, warum ich ihn lieber gehen als kommen sah. Friedrich schmatzte beim Essen so laut, daß die Fettaugen auf dem Teller die Augenbrauen runzelten, jawoll! Und er wollte sich grundsätzlich nur über seinen Arbeitgeber, die Pfandleihanstalt, unterhalten. Seine Art, sich auf dem Kopf zu kratzen, in den Ohren zu bohren und sich mit zwei Fingern die Knollennase zu massieren, waren Angewohnheiten, die mir Gänsehaut verursachten.
Und jetzt, heiliges Kanonenröhrchen, klang dieser Friedrich verdächtig nahe.
„Hast du ein Glück“, tat ich theatralisch.
„Wieso Glück?“ erkundigte er sich mißtrauisch.
„Ich war mit einem Bein schon unterwegs zu einer wichtigen Konferenz. Ist was passiert, Friedrich?“ Oh, war ich scheinheilig. Der liebe Gott möge es mir verzeihen.
„Passiert, passiert, was soll schon passiert sein. Ich bin zwei Straßen weiter in einer Telefonzelle. Ich wollte nur einen Besuch bei dir machen, das ist alles.“
Es klang mürrisch und aggressiv.
„Also gut, Friedrich“, überwand ich mich. Schließlich hatte ich als kleiner Junge auch Spinat gegessen und war nicht daran gestorben. „Komm nach sechs. Bis dahin ist meine Besprechung mit Sicherheit zu Ende.“
„Tut mir leid, das ist zu spät. Einen schönen Gruß von Helene soll ich dir noch ausrichten!“ Peng!!!
Mein Schwager, der Pfandleihbeamte, ei der Daus, hatte aufgelegt. Ich tat es ihm gleich und fühlte mich schuldbewußt. Trotz Angebot 6 Uhr, Also ehrlich, dieser Friedrich konnte einem doch tatsächlich den ganzen Tag vermiesen...
Eine Weile sah ich Pinsel bei der Knochenbeißerei zu, und meine Laune begann sich wieder zu bessern. Eines stand fest: So schnell würde ich keinen Besuch in dem Dorf machen, wo Helene mit ihrem Kopfkratzer wohnte!!
Und dann klingelte auch schon mein neuer Auftrag. Und wie sie klingelte. So richtig volltönend und finanziell gutgestellt.
„Pinsel“, mahnte ich ln die Ofenecke, „unser Besuch ist da. Ich hoffe, daß du dich anständig benimmst! Kein In-die-Waden-Zwicken und auch kein unfreundliches Geknurre! Denke daran, daß sie deine nächsten Kalbsknochen bezahlt!“
Pinsel blinzelte Zustimmung, und ich schritt zur Tür. Nicht überaus eilig, dafür im Gesicht vierzehn Falten, die auf Denkarbeit schließen ließen.
Wenn ich im Unterbewußtsein erwartet hatte, einer Besucherin vom Kiloformat einer Luise Bernbach gegenüberzustehen, so sah ich mich getäuscht.
Frau Mallinger, ich zweifelte keine Sekunde daran, daß es sich um sie handelte, war das, was man eine „feine, ältere Dame“ nennt. Zierlich und zerbrechlich, auf einen schwarzen Stock mit Elfenbeingriff gestützt, stand sie vor mir. Ihre schneeweißen Haare zierte ein keckes Hütchen.
„Ich bin Agathe Mallinger!“ sagte sie überflüssigerweise.
Ich riß die Hacken zusammen und machte eine Verbeugung. Dabei ließ ich unauffällig die falschen Denkfalten von meinem Gesicht verschwinden. Nichts beeindruckte und berührte mich nämlich mehr als zierliche, weißhaarige Damen.
„Bitte, gnädige Frau, treten Sie ein und versuchen Sie, sich wie zu Hause zu fühlen!“
Sie sah mich an, wie... wie... nein, nicht neugierig... eher durchdringend. Sie hatte einen Blick, der einem hinten am Rücken wieder herauskam. Heiliges Kanonenröhrchen, jetzt weiß ich es: Sie röntgte mich!
Als sie meine Betroffenheit bemerkte, lächelte sie verschmitzt. „Treffender hätte meine Freundin Luise Sie gar nicht beschreiben können. Danke, ich mache von Ihrem Angebot Gebrauch!"
Bei Hieronymus, dem Fröhlichen, alles, was ich bisher über zierliche, zerbrechliche und weißhaarige alte Damen wußte, traf in diesem Fall nicht zu. Agathe Mallinger stampfte mit beinharten Schritten durch den Korridor in Richtung gute Stube. Bei jedem zweiten Schritt rammte sie den Stock mit solcher Wucht auf den Boden, daß ich nicht daran zweifelte, daß der Läufer jetzt ein gelochter Läufer war.
Ich eilte ihr nach und staunte weiter. Einmal war Pinsel verschwunden, zum anderen steuerte meine Besucherin, ohne eine Sekunde zu überlegen, auf das Sofa zu und ließ sich mit leisem Gekicher in meine Lieblingsecke fallen. Sie wippte und röntgte mich dabei erneut. Und dann, ts-ts-ts, dann blieb mir doch tatsächlich die Spucke weg...
Ein Plan wie Schmierseife
Frau Mallinger ließ
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