Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)
gelang, sich von einer tödlichen Methamphetaminsucht zu befreien und sich ganz neu zu erfinden, indem er sein Leben den Ärmsten der Armen widmete. Es war eine Geschichte von Schurken und Helden, von würdigen Gegnern und immerwährender Liebe. Es war eine Geschichte über exotische Schauplätze, Familienwerte und Elternliebe. Und vor allem …
»Da schlafen einem ja die Füße ein.« Rodney Aronson warf Zeds Story auf den Schreibtisch und befingerte seinen Bart. Fand einen Krümel Schokolade darin und steckte ihn sich in den Mund. Er hatte beim Lesen eine Tafel Schokolade gegessen, und seine rastlosen Augen wanderten jetzt über seinen Schreibtisch auf der Suche nach Nachschub, den er in Anbetracht des von der übergroßen Safari-Jacke, seiner bevorzugten Arbeitskleidung, schlecht verhüllten Leibesumfangs weiß Gott nicht brauchte.
»Wie bitte?« Zed meinte, sich verhört zu haben, und überlegte krampfhaft, was sich auf Füße ein reimen könnte, um sich zu vergewissern, dass sein Chefredakteur seine Story nicht soeben auf die unterste Ecke von Seite zwanzig verbannt hatte oder Schlimmeres.
»Mir schlafen die Füße ein!«, sagte Rodney. »Sie haben mir eine gepfefferte Enthüllungsstory versprochen, wenn ich Sie da raufschicke. Sie haben mir, wenn ich mich recht erinnere, sogar eine Enthüllungsstory garantiert, wenn ich Ihnen ein Hotelzimmer bezahle für Gott weiß wie viele Tage …«
»Fünf«, sagte Zed. »Es gestaltete sich nämlich etwas komplizierter. Ich musste diverse Leute interviewen, um die Objektivität zu wahren …«
»Also gut, fünf. Über die Wahl Ihres Hotels werden wir uns übrigens auch noch unterhalten, denn ich habe die Rechnung gesehen und mich gefragt, ob im Zimmerpreis Bauchtänzerinnen enthalten waren. Wenn einer auf Kosten der Zeitung für fünf Tage nach Cumbria geschickt wird, weil er uns eine hammermäßige Geschichte in Aussicht stellt …« Rodney nahm die Seiten vom Schreibtisch und wedelte damit in der Luft. »Was zum Teufel haben Sie hier recherchiert? Und was hat in Gottes Namen der Titel zu bedeuten? ›Das neunte Leben‹. Was ist das hier? Ein Machwerk aus einem von Ihren hochintellektuellen Literaturseminaren? Oder aus einem Kurs für kreatives Schreiben? Halten Sie sich etwa für einen Schriftsteller?«
Zed wusste, dass der Chefredakteur kein Universitätsstudium absolviert hatte. Das erzählte man sich ebenfalls in der Kantine. Kurz nachdem Zed bei der Source angefangen hatte, hatte ihm jemand sotto voce zugeraunt: Wenn dir dein Leben lieb ist, Kumpel, komm Rod nur ja nicht mit irgendwas, das ihn daran erinnert, dass du irgendeinen Abschluss hast, der auch nur entfernt was mit höherer Bildung zu tun hat. Das hat nur zur Folge, dass er sich verarscht fühlt. Also halt am besten einfach die Klappe, wenn was Derartiges zur Sprache kommt.
Und so antwortete Zed äußerst vorsichtig auf Rodneys Frage nach dem Titel seiner Story. »Das ist eine Anspielung auf Katzen.«
»Auf Katzen.«
»Äh … die sollen doch neun Leben haben.«
»Okay, gebongt. Aber wir schreiben nicht über Katzen, oder?«
»Nein. Natürlich nicht …« Zed wusste nicht so recht, worauf der Chefredakteur hinauswollte, und fuhr einfach fort mit seiner Erklärung. »Es geht darum, dass der Typ achtmal einen Entzug gemacht hat, verstehen Sie, und zwar in drei Ländern, und nichts hat ihm geholfen, wirklich gar nichts. Okay, er war vielleicht sechs, acht Monate clean, einmal sogar ein ganzes Jahr, aber er ist immer wieder rückfällig geworden. Dann fährt er nach Utah, wo er eine ganz außergewöhnliche Frau kennenlernt, und auf einmal ist er ein neuer Mensch.«
»Simsalabim, die wunderbare Wandlung, und das war’s? Gerettet durch die Liebe?« Die Frage klang freundlich, und Zed schöpfte Mut.
»Ganz genau. Das ist einfach unglaublich. Er ist völlig geheilt. Okay, bei seiner Heimkehr wird kein gemästetes Kalb geschlachtet …«
»Kalb geschlachtet?«
Zed ruderte hastig zurück. Eine Anspielung auf die Bibel, ganz schlechte Taktik. »Dumme Bemerkung, sorry. Er kommt also zurück und gründet ein Projekt, um denen zu helfen, denen nicht mehr zu helfen ist.« War das zu dick aufgetragen? »Und nicht etwa für Jugendliche, die ihr Leben noch vor sich haben. Nein, für Asoziale. Seine Schützlinge sind alte Penner, gesellschaftlicher Abfall …«
Rodney sah ihn an.
»Ausgestoßene, die ihre verfaulten Zähne ausspucken, während sie ihr Essen aus Mülltonnen klauben. Er findet, dass sie es
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