Glauben Sie noch an die Liebe
angekündigt, nicht über Persönliches sprechen zu wollen. Weder über den Tod von Ankepetra noch über seine dritte Frau Michelle. Dass unser Gespräch über anderthalb Stunden von nahezu nichts anderem handeln würde, hätten wir deshalb nicht erwartet.
Müntefering setzt sich ans Kopfende des Tisches, wie es lange Jahre seiner Rolle entsprach. Er trinkt grünen Tee.
Herr Müntefering, Sie waren lange Zeit einer der mächtigsten Männer in Deutschland. Haben Sie die Macht damals geliebt?
»Liebe« ist wohl doch ein zu großes Wort, »Macht« auch. Aber es machte schon Spaß. Du bist in der Rolle des Regisseurs, du hältst hundert Fäden in den Händen und steuerst viel. Ab und zu gewinnst du, manchmal verlierst du. Das ist oft vor allem Liebe zum eigenen Leben, die dich antreibt. Du hast die einmalige Chance, einige Jahrzehnte zu leben und Gutes daraus zu machen.
Diese Liebe zum eigenen Leben, ist das auch ein Stück weit Selbstverliebtheit?
Ich sage nicht Nein. Aber Hannah Arendt hat das besser formuliert: Politik ist angewandte Liebe zum Leben.
Was Arendt meinte, war vermutlich aber nicht die Parteipolitik unserer Tage.
Ja, klar. Überhaupt ist Parteipolitik nur ein Unterthema der Politik. Es geht um die Frage, wie Menschen gleichberechtigt und gut leben können. Und das in einer sich schnell verändernden Welt. Das erfordert auch Parteinahme, Parteipolitik.
Aber was hat diese Politik mit Liebe zu tun?
Demokratische Politik meint das Leben jedes einzelnen Menschen und will, dass es gelingen kann. Dass Glück möglich ist. Das geht nicht in Diktaturen und in Not. Das geht mit Freiheit und Gerechtigkeit.
Sie halten Politik wirklich für eine Form von Liebe?
Ja. Politiker haben durch Wahl die ausdrückliche Aufgabe, dafür Pfadfinder und Lenker zu sein.
Und Nichtpolitiker sollen dann wie Schäfchen folgen?
Natürlich nicht. Auch die sind doch gesellschaftspolitisch engagiert, in Initiativen, NGOs, Gewerkschaften, Kirchen, Verbänden. Auch da wird Politik gemacht, und auch da gilt die Liebe zum Leben. Meine eigene Erfahrung ist die des Politikers.
Wenn Sie die Politik mit einer Form des Liebens vergleichen, klingt das – mit Verlaub – sehr schwärmerisch. Die meisten Politiker arbeiten aber so viel, dass die wirkliche Liebe im Privatleben eher leidet.
Das kann passieren. Aber das ist kein spezifisches Politikerproblem.
Und wie war es bei Ihnen?
Es hat sich gegenseitig ergänzt, manchmal erschwert, manchmal beflügelt. Meine erste Ehe ist kaputtgegangen. Ich hatte früh geheiratet, mit einundzwanzig. Irgendwann war der Tank bei mir leer. Und die politischen Termine dominierten immer mehr.
Wann hatten Sie denn Zeit für die Familie? An den Wochenenden?
Oft nicht einmal dann. Je tiefer man drinsteckt, desto mehr Zeit verschlingt der Beruf. Im Nachhinein denke ich: Vielleicht wäre es besser gewesen, damals die Familie nach Bonn mitzunehmen. Aber das habe ich damals nicht erkannt.
Ihre zweite Frau, Ankepetra, war Mitarbeiterin der SPD-Fraktion. Hat es das leichter gemacht?
Ja, der Hauptarbeitsplatz war für uns beide in Bonn, und wir wohnten in einer Stadt. Zeitweise war ich in Düsseldorf im Kabinett. Aber das war ja nebenan. Es war ein gutes Leben. Dann ist sie schwer erkrankt und 2008 gestorben. Es war eine schwierige, aber auch schöne Zeit bis zu ihrem Tod.
Eine schöne Zeit?
Es war schwierig, anstrengend und auch schön, ja. Ich war extrem angestrengt, oft übermüdet. Aber es gab immer Stunden, Zeiten, die sehr gut waren. Wir waren einander nahe. Manchmal waren wir tieftraurig. Aber im Grunde ist das eine ganz besondere Sache, wenn man das Leben so miteinander und beieinander bis zum Schluss erlebt. Auch schwierige Lebensphasen können schön sein, doch.
Wie konnten Sie Berufspolitiker sein und sich gleichzeitig um Ihre Frau kümmern?
Eigentlich gar nicht. Ich war immer unter Zeitdruck. Ich war ja teils gleichzeitig Fraktions- und Parteivorsitzender. Tagsüber in der Fraktion, abends im Willy-Brandt-Haus, so war das oft. Und manche Nacht verbrachte ich im Krankenhaus, wenn Ankepetra dort war. Das half uns.
Sie sind einmal während einer Rede im Wahlkampf vor laufenden Kameras ohnmächtig geworden. War das eine Folge dieser Belastung?
Ja, das war in Homburg. Da deutete sich ein Herzproblem an, und ich war ziemlich platt. Ich war bis spätabends im Büro, die Nacht im Krankenhaus, ging morgens früh joggen und gleich wieder zu einem Termin. Meine biologische Uhr raste. Das hat mich an
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