Glauben Sie noch an die Liebe
der ihr wohl nicht viel mehr zu bieten hatte außer seiner Reue und einem ramponierten Namen, verziehen – vielleicht aus keinem anderen denkbaren Grund als der Liebe in ihrer reinsten, weil aufopferungsvollsten Form. Ob das Herrn Mahmoud nicht Hoffnung mache?
Der lachte und fragte: »Was sind Sie beide von Beruf? Psychiater?«
»Nein, Journalisten.«
Er überlegte kurz. »Fragen Sie doch diese Leute, von denen Sie gerade erzählt haben. Die werden Ihnen schon sagen, wie es wirklich ist! Glauben Sie, die sind wirklich glücklich, und ich bin der Einzige, dem es anders geht?«
So gesehen, entstand die Idee aus einem Gefühl heraus, das alle Liebenden zuweilen befällt. Es ist die Sehnsucht, im Leben anderer Menschen etwas zu entdecken, das ihnen selbst längst allzu bekannt ist: den Schmerz, das Glück, die Hoffnung und die Pirouetten des Liebeslebens.
All die Menschen, mit denen wir für dieses Buch sprachen, haben, was die Liebe anbelangt, eine Geschichte zu erzählen. Manchmal handelt sie nicht vom Glück, sondern vom Fehlen der Liebe und von der Einsamkeit. Manchmal handelt sie vom Tod eines geliebten Menschen und von eigenen Fehlern, durch die Partnerschaften zerbrochen sind. Jede Person, der wir Fragen zur Liebe gestellt haben, wurde sorgfältig ausgewählt. Nicht nach Rang und Namen, sondern nach den Antworten, die wir uns von ihnen erhofft haben. Nach einem Gespräch mit einem Intellektuellen trafen wir eine ehemalige Erotikdarstellerin. Nach einem Gespräch über Einsamkeit redeten wir mit jemandem, der in seinem Leben mehr Partner hatte, als er zählen kann.
So unterschiedlich die Biografien der Interviewpartner, so gegensätzlich waren ihre Meinungen. Der eine schimpfte auf die Ehe, die andere schwelgte in Sehnsucht danach. Gemeinsam ist all diesen Menschen, den Treuherzigen und den Filous, den Heißblütigen und den Realisten, den Mahmouds und den Münteferings, aber das Streben nach der Liebe, ganz gleich in welcher Form.
Dieses Buch ist von zwei Freunden geschrieben, die miteinander über die Liebe sprechen, wie es nur Freunde tun. Mit einer schroffen Ehrlichkeit, die befreiend wirken kann, einem nachdenklichen Humor, der die Untiefen der Liebe erträglicher macht, und mit dem sanften Spott über das Glück des anderen, der nur in Freundschaften seinen Platz hat. So haben wir über die Taxifahrt mit Herrn Mahmoud gesprochen und uns gegen seinen Pessimismus gewehrt, weil wir glauben, die Frauen unseres Lebens schon gefunden zu haben.
Herr Mahmoud hatte behauptet, die Menschen hätten den Glauben an die Liebe verloren. Dieses Buch ist unsere Antwort an ihn.
Wir wünschen Ihnen eine gute Lektüre.
Justus Bender und Jan Philipp Burgard
FRANZ MÜNTEFERING
»Ich kann gut alleine sein«
Es ist nicht lange her, da hätte eine Vorhut von Personenschützern den Treffpunkt schon vor dem Eintreffen unseres Interviewpartners gesichert. An diesem Morgen im Mai, um neun Uhr, laufen noch Rinnsale von Regenwasser über die Straßen von Herne. Gemächlich spaziert Franz Müntefering den Hügel zum Parkhotel Herne hoch, alleine, in einer Regenjacke, deren Reißverschluss geöffnet ist, und mit einem Regenschirm unter den Arm geklemmt. Unter der Regenjacke, ganz schlicht, ein blauer Wollpullover und ein kariertes Hemd. Der ehemalige SPD-Chef hat einen Büroraum des Hotels für unser Gespräch vorgeschlagen, weil die Anlage seinem Vermieter gehört und er nicht weit von hier wohnt.
Auf den ersten Blick scheint es müßig, mit einem wie Franz Müntefering, der sich gerne als »Alleiner« bezeichnet – jemand, der keine Freunde kennt und keine Verbündeten –, über die Liebe sprechen zu wollen. Aber es war dieser Franz Müntefering, der im Jahr 2007 sein Amt als Vizekanzler der Bundesrepublik aufgab, um seine todkranke Frau zu pflegen. Hinter der kühlen Fassade des Machtpolitikers schien »Münte« plötzlich ein anderer zu sein, der nicht zögerte, aus Liebe zu seiner Frau eine über Jahrzehnte gewachsene Karriere aufzugeben.
Müntefering sieht ausgeruht aus, die vertikalen Falten, an denen die Karikaturisten der Hauptstadt lange Jahre ihre Freude hatten, sind aus seinem Gesicht verschwunden. Er hat wieder geheiratet, die vierzig Jahre jüngere Michelle, eine Nachwuchspolitikerin der SPD. Deshalb ist er hier, in Herne, weil Michelle aus Herne kommt. Eine Flucht nach dem Tod seiner Frau? Ein neues Leben nach der Politik? Müntefering kennt diese Fragen, sie sind ihm zu privat. Im Vorgespräch hatte er
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