Gleis 4: Roman (German Edition)
bin sicher, dass er nicht gelogen hat. Aber ich hab’s Mathilde nie gesagt, ich wollte nicht, dass sie erfährt, dass ihr Sohn der Mörder seines Vaters ist.«
»Du hast keinen Zeugen!«
»Ja, keinen außer dir.«
»Und jetzt? Was willst du?«
»Ich wollte, dass Marcels Frau die Wahrheit weiß. Fertig.«
»Hab ich dir etwas zuleide getan?«
»Ja«, rief Sarah, »das haben Sie! Sie wollten jemanden aus dem Weg haben, der die Wahrheit wusste.« Sie hatte Meiers Mappe geöffnet und zeigte den andern die Puppe mit den Nadeln im Kopf und im Herz. »Die hab ich schon bei Ihnen zu Hause gesehen. Haben Sie nicht über Kopfweh geklagt, Frau Maurer? Das bringen wir rasch wieder weg«, und sie zog die erste Nadel aus dem Kopf und die zweite aus dem Herz.
»Her mit der Puppe!«
»Die behalte ich. Für den Gegenzauber, falls Sie es noch einmal probieren. Wissen Sie, eine Negerin kann so etwas besser als ein Zombie aus Uster. Hier ist Ihre Mappe. Kapitalverbrechen verjähren nach zwanzig Jahren. Ich glaube, Sie können gehen.« Sarah öffnete ihm die Türe.
Misstrauisch blickte Meier in die Runde, nahm dann die Mappe und machte einen Schritt zur Tür.
Da trat Isabelle zu ihm, legte ihm die Hand auf den Arm und sagte: »Herr Meier, wollen Sie sich nicht noch entschuldigen?«
»Was meinen Sie damit? Bei wem?«
»Vielleicht bei Marcels Frau?«
»Die hat nichts davon.«
Dann tat Meier etwas Unerwartetes.
Er ging zum Nachttischchen, nahm Martins Foto in die Hand, blickte es lange an und sagte dann: »Marcel, es tut mir leid. Wir haben alle gelitten.«
Danach verließ er, ohne sich umzusehen, das Zimmer B 17, und alle schwiegen, bis seine Schritte im Gang verhallt waren.
Dann sagte Frau Maurer:
»Frau Isabelle – mein Kopfweh ist weg.«
24
»Merci infiniment!«
Véronique stand mit Isabelle vor der Passkontrolle am Flughafen und umarmte sie. Sie wisse nicht, was sie ohne sie gemacht hätte. Ihre Handtasche hatte sie umgehängt, den Behälter mit Martins Asche hatte sie neben sich auf den Boden gestellt.
Sie habe das gern gemacht, sagte Isabelle, obwohl das eigentlich so nicht stimmte. Sie musste es einfach machen, die Ereignisse ließen ihr keine andere Wahl. Gestern war sie mit auf das Bestattungsamt gegangen, um die Urne abzuholen, das war für Véronique nochmals ein harter Moment.
Am Abend hatte Véronique sie zum Essen in ein mexikanisches Restaurant am Marktplatz eingeladen, in dem ihnen fröhliche junge Kellnerinnen geduldig den Unterschied zwischen Fajitas und Burritos erklärten.
Sie hatten versucht, die Zeit von Martins Ankunft bis zu seinem Tod zu rekonstruieren und hatten es sich so zurechtgelegt:
Martin war um die Mittagszeit in Zürich-Kloten angekommen, hatte sich am Flughafen am Werbeaktions-stand einer Telefongesellschaft ein spottbilliges Handy samt einem Ladegerät und einem Prepaidbetrag gekauft. Den Stand hatten sie soeben beim Einchecken gesehen, die Werbeaktion lief immer noch. Das Ladegerät war bei seinen Effekten im Hotel gewesen, Véronique hatte es zunächst für das kanadische Gerät gehalten.
Wahrscheinlich hatte er sich dann etwas ausgeruht, bevor er ein Taxi ins Altersheim genommen hatte, denn die diensthabende Pflegerin sagte, er sei erst am späteren Nachmittag bei Frau Maurer zu Besuch gewesen, sie erinnerte sich gut an den gepflegten Herrn. Und an noch etwas erinnerte sie sich: Er hatte sich nach dem Besuch nach Isabelle erkundigt, und als er erfuhr, sie fahre nach einem Klinikaufenthalt in die Ferien und sei erst in vierzehn Tagen wieder da, hatte er sich für alle Fälle ihre Adresse geben lassen. Er solle ihr, hatte er gesagt, im Auftrag von Frau Maurer noch ein Geschenk überbringen.
Er hatte seiner Tante Ahorn-Cookies mitgebracht und hatte ihr ein Foto von sich in Kapitänsuniform dagelassen, sowie seine schweizerische Handy-Nummer.
Am nächsten Morgen könnte er zu Isabelles Wohnung gegangen sein, könnte gesehen haben, wie sie gerade das Haus verließ, könnte, in der Annahme, das müsse sie sein, ihr gefolgt sein, und dann auf seinen Zettel mit der Telefonnummer der Tante seine Bitte gekritzelt haben, falls er sich ihr nicht würde erklären können. Der Zettel, so hatte Véronique sofort erkannt, gehörte zu seinem Notizblock in Kanada, die Nummer hatte er sich noch zu Hause notiert, die Bitte aber erst hier draufgeschrieben, vielleicht sogar, während er ihr folgte, und er musste ihn auf der Treppe in das Außenfach von Isabelles Koffer gesteckt haben. Isabelle
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