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Gleitflug

Gleitflug

Titel: Gleitflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Gine Goemans
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wenig Terpentin und wischte sich das Gesicht ab. Grob, wie Gieles’ Vater Möwenkacke von seiner Windschutzscheibe wischte. Der Mann warf noch einen kurzen Blick auf den blutverschmierten Lappen und warf ihn wieder in die Kiste zurück.
    Der Wagen hatte überall Beulen und Schrammen. Die hintere Stoßstange wurde an mehreren Stellen von Klebeband zusammengehalten. Auf einem ovalen Nationalitätskennzeichen stand die Abkürzung ROM .
    ROM? Republic of Malawi?
    Als Entwicklungshelferin war seine Mutter nur einmal in Malawi gewesen. Eine große Enttäuschung für sie. Als sie gerade in irgendeinem Dorf war, um ihre Kocher vorzuführen, tauchten dort Leute von einer amerikanischen Hilfsorganisation auf, die ebenfalls das Kochen mit Sonnenlicht bekannt machen wollten. Dieser Konkurrenz war sie nicht gewachsen. Die High-Tech-Solarkocher der Amerikaner kosteten zweihundert Dollar pro Stück und konnten in einer Viertelstunde etliche Liter Wasser zum Kochen bringen. Ellens einfache Geräte brauchten dafür zwei Stunden, kosteten aber so gut wie nichts und konnten außerdem in der Region selbst hergestellt werden, was viel umweltfreundlicher war. Seine Mutter war außer sich. Die Leute im Dorf wollten die teuren Solarkocher, sie hatten sieausgelacht, und die Amerikaner lachten mit. Sie hatte zu Hause angerufen und weinend von ihrem Erlebnis berichtet. Willem hatte versucht, sie zu beruhigen. Von den Armen könne man nun einmal nicht erwarten, dass sie Mitleid mit den Reichen hätten, meinte er. Und dass sie sich Gedanken um die Umwelt machten, auch nicht. Ellen hatte nur noch mehr geweint.
    Aber Malawi hatte irgendein anderes Kennzeichen.
    Rumänien! Es war Rumänien.
    Tufted und Bufted pickten an dem Plastikbeutel herum, in dem noch ein paar Kugeln waren. Gieles wollte sie ruhighalten, er befürchtete, der Rumäne könne doch noch wütend auf sie werden, weil sie den Unfall verursacht hatten. Er gab beiden eine Kugel. Der Rumäne schlug die Tür zu, schaute die Gänse und dann Gieles an und sah plötzlich so jämmerlich aus wie Liedje seit dem Brustkrebs. Ohne nachzudenken, bot Gieles ihm eine Kekskugel an. Der Mann nahm sie mit seiner verschmierten Hand entgegen. Er kaute mühsam auf der Kugel herum. Gieles schob sich selbst die letzte in den Mund. Die Masse aus Spekulatius und Gelee war zäh und klebrig, aber das gemeinsame Kauen entspannte die Situation, man konnte sich vorstellen, dass sie zusammen auf einem Ausflug waren und am Straßenrand ein Picknick machten.
    Der Rumäne nickte ihm kurz zu, setzte sich wieder in den Wagen und ließ den Motor an. Holpernd fuhr er sein Wrack rückwärts, hob die Hand und bog auf die Straße ein. Ein Rücklicht löste sich und baumelte an einem Kabel. Gieles winkte, Tufted und Bufted gackerten ein bisschen. Wie vorher den Saatgänsen blickten sie zu dritt dem Dacia nach, bis sie ihn nicht mehr sahen.

33
    11:07 Uhr. Noch jede Menge Zeit. Er versuchte, sich auf den Teletext zu konzentrieren, weil er nicht an andere Dinge denken wollte. Beispielsweise an den Rumänen und seine blutende Nase. Oder daran, dass die Gänse sein Signal zum Auffliegen völlig ignoriert hatten. Vergangene Nacht gegen halb fünf war er zu dem Schluss gekommen, dass sie den Schirm gar nicht hatten sehen können. So wie er stand, war er zu sehr von den Bäumen verdeckt gewesen. Logisch. Das war die einzige Erklärung, an andere mögliche Erklärungen wollte er nicht denken. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Sogar das Klacken von Onkel Freds Krücke war ihm heute zu viel.
    Deshalb las er jetzt Teletext. Die voraussichtliche Ankunftszeit von Flug 9321 war unverändert 14:28 Uhr. Um nach Hause zu kommen, musste seine Mutter eine Weltreise machen. Keine Fluggesellschaft hatte noch eine Direktverbindung von oder nach Somalia.
    Klickklackklickklack, dröhnte es in seinem Schädel. Zum Verrücktwerden. Onkel Fred kam ins Wohnzimmer. Er hatte ein grellorangenes Batikhemd mit kurzen Ärmeln angezogen, eins von Ellens Mitbringseln. Schon mehrmals hatte er es absichtlich zu heiß gewaschen, aber die Farbe wollte nicht blasser werden.
    »Bist du sicher, dass du nicht mit willst?«
    »Ganz sicher«, schnauzte Gieles.
    Diese Sorge in Onkel Freds Stimme. Völlig untypisch für ihn. Normalerweise brachte ihn nichts aus der Ruhe. Seit Gieles so ungewohnt kurz angebunden und unhöflich war, beobachtetenihn sein Vater und Onkel mit besorgter Aufmerksamkeit. Ganz anders Meike. Für sie war er Luft. Und wenn sie ihm doch

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