Gleitflug
einer wahren Begebenheit« stehen. Das wirkte immer. Man erlebte dann alles noch intensiver mit. Und 9321 wäre ein spannender Titel. Allerdings gab es schon Flug 93 über das Drama vom 11. September. Vielleicht lieber so etwas wie Gieles und seine grandiosen Gänse .
Er musste Super Waling anrufen. Das stand auf der Checkliste, die abzuarbeiten war. Wie Captain Sully es immer getan hatte. Das war entscheidend. Und Super Waling war ein wichtiges Instrument, das gecheckt werden musste. Gab es eigentlich so dicke Schauspieler, die ihn darstellen konnten? Auf die Schnelle fiel ihm keiner ein. Er rief ihn an. Viermal meldete sich die Mailbox, dann nahm Waling ab.
»Ich war noch unter der Dusche«, erklärte er.
»Kommst du gleich pünktlich?«
»Natürlich komme ich pünktlich. Kurz vor halb drei, neben dem großen Tor.«
»Nein!«, rief Gieles ärgerlich. »Nicht kurz vor halb drei, zwanzig nach zwei. Das ist sehr wichtig! Sagen wir lieber Viertel nach zwei. Sicherheitshalber.«
»Ich werde da sein, Gieles, mach dir keine Sorgen.«
»Mit Kamera und Notizheft. Und Stift.«
»Liegt alles bereit … Gieles?«
»Ja?«
»Ich möchte mich entschuldigen.«
»Wofür?«
»Das mit dem Flugzeugunglück, das hätte ich dir besser nie erzählt. Ich meine, mir ist erst später klar geworden, dass ich dich damit nicht hätte belasten dürfen. Mit diesen unlösbaren Verwicklungen …«
»Das macht nichts.«
»Doch. Das macht etwas … Ich glaube, ich habe in den letzten Jahren das Gefühl für das richtige Maß verloren, in jedem Sinne.« Er schwieg einen Moment. »Das ist keine Entschuldigung, aber so versuche ich mir zu erklären, dass ich einen jungen Mann wie dich, einen ganz besonderen jungen Mann, mit meinen Problemen belastet habe. Ich bin ein unmöglicher Lehrer.«
Gieles hatte wieder das Gefühl, dass in seinem Schädel nicht genug Platz war.
12:20 Uhr.
Keine Gefühle!
»Ich muss weg.«
»Ja, natürlich. Ich halte dich nicht länger auf. Um Viertel nach zwei bin ich da. Ganz pünktlich.«
Er schaute noch einmal nach den Ankunftszeiten und dann in sein Postfach. Keine Mail von Moullec. Und wenn schon. Es ging auch sehr gut ohne Moullec. Wieder prüfte er seine Checkliste. Ganz oben stand:
K ugeln
Schleuder
Rizla-Alben
Streichhölzer
Schirm
Gut eine Stunde musste er noch herumbekommen. Er schlug ein Physikbuch auf.
Kapitel 2. Schall und Schallquellen .
Angestrengt versuchte er zu verstehen, was er las, aber die Wörter kamen nicht richtig an. Berechnung von Wellenlänge, Frequenz und Schallgeschwindigkeit . Bei Gewitter war er früher zu seinen Eltern ins Bett gekrochen, und dann hatten sie ausgerechnet, wie weit das Gewitter noch entfernt war. Nach jedem Blitz hatten sie gemeinsam gezählt, bis der Donner kam. Wie war das noch … bei drei Sekunden 3 mal 340 … oder 320?
Erwachsene hatten nie Angst vor Gewittern, außer Dolly. Weil sie glaubte, ein Blitz könne ein Flugzeug zum Absturz bringen, das dann auf ihr Haus krachte.
Paragraph 2.1. Messen von Schall .
Mit einem Bleistift unterstrich er wichtige Begriffe. Wieder schweiften seine Gedanken ab. Der Flughafen wollte den Schall nicht messen. Er berechnete ihn mit Programmen, die sogar für Computer zu kompliziert waren. Wenn man den Schall messen statt berechnen würde, käme nämlich heraus, dass der Flughafen viel mehr Lärm produzierte, als man den Leuten weismachen wollte. Onkel Fred meinte, der ganze Flughafen sei auf Lügen gebaut, aber er wurde deshalb nicht wütend. Dolly wurde fuchsteufelswild, wenn sie an diese Dinge dachte, aber Onkel Fred akzeptierte die Realität, wie sie war. Er war ein Fluss, er strömte. Dolly war ein Vulkangebirge. Meike war Löwe. Er Jungfrau. Außerdem, und das war das Beste, fast schon ein Held.
An den Rand zeichnete er einen weiblichen Oberkörper. Er machte die Brüste extrem groß und dachte an Meike.
Konzentrier dich!
Was stand als Nächstes auf der Checkliste? Die Ankunftszeiten. Die Gänse.
Er verließ das Zimmer. Im Haus roch es nach Parfüm. Das musste von Meike sein, obwohl sie bisher kein Parfüm benutzt hatte. Wahrscheinlich gehörte es zu ihrem neuen Look. Nächste Woche kamen ihre Eltern. Dann konnte Angeliek vor Freude heulen und auf die Knie fallen. Und Hannies Schweißdrüsen konnten sprühen vor Glück. Und Meike? Hatte sie sich so verändert, dass sie plötzlich ihre Eltern mochte? Das doch wohl nicht, hoffte er von ganzem Herzen.
Draußen stand sein Vater. Er lehnte sich an den
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