Gleitflug
Mayonnaise aus der Tube auf den glänzenden Kunststoff um ihre Oberschenkel gespritzt. Bei diesem Anblick war ihm die Hose zu eng geworden.
»Morgen kann ich nicht babysitten«, sagte er, ohne sie anzusehen. »Muss für ein paar Klassenarbeiten lernen. Willst du das übernehmen?«
»Okay«, sagte sie kühl. Sie schaute ihn nicht an.
Onkel Fred merkte wahrscheinlich gar nichts von der eisigen Atmosphäre zwischen ihm und Meike.
Nach dem Tischabräumen verschwand Gieles nach oben. Im Waschbecken, noch schwarz von der letzten Rizla-Vogel-Verbrennung, vermengte er Spekulatius und Gelee mit Wasser. Der braune Brei erinnerte an Omeletteteig. Er knetete ihn, verdünnte ihn mit Wasser und formte schließlich feste Kugeln. So groß wie die Fischmehlkugeln, die sie an seinem neunten Geburtstag benutzt hatten, um mit dem Blasrohr Plüschtiere aus einem Baum zu schießen. Eine Idee seines Vaters. Toon kam später auf den Einfall, Nägel mit einzurollen. Das ging so lange gut, bis Gieles von einer Kugel an der Stirn getroffen wurde und ein Nagel sich in die Haut bohrte.
Er rollte und rollte, flink wie ein Bäcker oder Metzger.
Toon hatte sich noch nicht wieder blicken lassen. Und wenner auftauchte, würde ihm Gieles die Tür ins Gesicht knallen. Aber zuerst würde er ihm einen Nagel in den dicken Kopf jagen. Genau zwischen die Augen.
32
Am Morgen vor dem Tag, an dem seine Mutter nach Hause kommen sollte, schwänzte er die Schule.
Die Rettungsaktion machte ihm Sorgen. Würden die Gänse gehorchen? Er musste sie noch einmal testen. Er wartete, bis er seinen Vater und Meike mit dem Dienstwagen wegfahren hörte. Meike wäre auch mit dem Rad schnell beim Friseursalon gewesen, aber sein Vater bot ihr jeden Morgen an, sie hinzubringen. Als wäre sie ein dummes Gänseküken, das man nicht unbeaufsichtigt lassen konnte.
Er zählte die Kekskugeln. Es waren neunundzwanzig. Wallie saß auf seinem Bett, sie hatte sich auf Super Walings Bericht breitgemacht. Am Abend hatte er ihn zum fünften Mal gelesen. Oder zum sechsten Mal. Die Geschichte ließ ihn nicht los. An der Stelle, an der Walings Mutter auf dem Hometrainer fast einen Herzinfarkt bekam, war er eingeschlafen.
Wallie hatte beobachtet, wie er die Kekskugeln vor sich auf dem Boden auslegte. Sie war seltsam fasziniert von allem, was rund war. Gieles ließ ein paar Kugeln zum Knabbern für sie liegen und steckte die anderen in einen Plastikbeutel. Zhuangzis gefangener Seevogel fiel ihm ein. Der chinesische Adlige hatte ihm die besten Stücke Fleisch gegeben, trotzdem war der Vogel nach drei Tagen tot.
War Spekulatius schädlich für Gänse?
Er vertrieb den Gedanken durch ein paar leichte Schläge auf die Stirn.
Von der Treppe aus sah er Onkel Fred in Willems und Ellens Schlafzimmer. Er zog die Kissen ab und schüttelte sie auf. Imhellen Sonnenlicht schwirrten unzählige winzige Staubteilchen durchs Zimmer.
»Musst du zur Schule?«, fragte Onkel Fred, während er eins der Kissen in einen neuen Bezug stopfte.
»Nein, erst heute Mittag.« Onkel Fred kannte seinen Stundenplan nicht so genau. »In einer Stunde ungefähr bin ich wieder da.«
Zeit fürs Frühstück hatte er nicht. Unterwegs aß er eine Banane und ein Mandeltörtchen. Tufted und Bufted watschelten schwänzelnd und schnatternd vor ihm her. Sie waren immer fröhlich. Auch seine Mutter war früher immer fröhlich gewesen. Vielleicht ließ das automatisch nach, wenn man älter wurde. Oder wenn man Kinder bekam. Dolly und Liedje hatten nur Sorgen. Und Meikes Eltern lagen wahrscheinlich jede Nacht wach. Dass Meike auch ihm den Schlaf raubte, hatte ganz andere Gründe. Gut, dass ihre Eltern nichts von seinen Fantasien ahnten, sonst würden sie kein Auge mehr zumachen.
Er schlug mit dem Schirm in das hohe Gras und die gelben Blumen am Straßenrand. Es waren die gleichen Blumen wie auf dem Küchentisch. Meike hatte sie für Ellen gepflückt. Nachtkerzen, hatte Onkel Fred gesagt. Gieles ließ den Schirm gegen den Lampenmast knallen, an dem eine Überwachungskamera hing. Darunter stand in schwarzen Ziffern 185.
An den Masten neben der Hauptstraße waren keine Kameras angebracht. Sie gingen auf dem Radweg, weil es keinen Gehweg gab. Für die Gänse begann hier unbekanntes Gelände, sie wurden unruhig und blickten ängstlich in die Luft, als könne über ihren Köpfen etwas Gefährliches lauern. Er gab beiden eine Kekskugel. Essen half gegen Nervosität.
Er setzte sich an den Straßenrand. Der Autoverkehr sollte sie ein
Weitere Kostenlose Bücher