Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gleitflug

Gleitflug

Titel: Gleitflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Gine Goemans
Vom Netzwerk:
er jetzt doch von Super Waling an?
    »Welchen Arsch?«
    »Den aus dem Fiat natürlich!«
    Gieles öffnete wieder die Augen. »Meine Mutter hat gesehen, wie ein Mädchen gesteinigt wurde. Sie haben mit Felsbrocken nach ihrem Kopf geworfen.«
    Toon zündete sich eine Zigarette an. »Brutal«, sagte er und rülpste laut. »Was will sie da eigentlich? In Kenia geht doch nichts ab.«
    »Sie ist in Somalia. Sie bringt Opfer.«
    »Was?«
    Gieles konnte die Augen nicht offen halten, seine Lider waren so schwer. Er sah sich selbst, wie er sich weinend an seine Mutter klammerte. Es war am Tag nach seinem zehnten Geburtstag, und sie ging für drei Wochen nach Uganda. Es war ihre erste Reise mit den faltbaren Solarkochern. Sie hatte erklärt, man müsse im Leben Opfer bringen, um etwas zu erreichen. Er wusste einfach nicht, wie er die Trennung verkraften sollte.
    »Sie bringt Opfer«, wiederholte er. »Meine Mutter hat eine Mission.«
    »Total wichtig«, sagte Toon. »Meine Mutter hat Brustkrebs. Eine ihrer Titten muss ab.«

13
    Spät am Morgen wachte Gieles mit einer Eingebung auf. Er würde Opfer bringen. Toons Mutter starb vielleicht an Krebs und seine eigene Mutter an Afrika, es wurde also Zeit, dass auch er etwas opferte. Er schaute sich im Zimmer um. Die kleine Gans trank Wasser aus dem Napf. Er liebte sie, sie wäre ein viel zu großes Opfer. Ausgeschlossen.
    Seine alten Spielsachen hinter dem Brett? Lego, Puzzles, Spiele, Bücher. Unzählige Plüschtiere, die er von ganzem Herzen hasste. Aus allen Gegenden der Welt. Nach jedem ihrer Flüge eine Giraffe, ein Elch oder was auch immer. Sogar eine Plüschkakerlake hatte er einmal bekommen. Jedes Tier stand für ihre Abwesenheit.
    Ein Signalton des Laptops. Er schaute auf den Monitor. Eine E-Mail von Super Waling. Betreff: Dritter Teil von Ide & Sophia. Nur lesen, wenn du Lust dazu hast!
    Er druckte die Geschichte aus und suchte weiter nach einem geeigneten Opfer.
    Die Rizla-Vogelalben! Seine geliebte Sammlung, das Geschenk seines Vaters. Er konnte ein paar Blätter zerreißen, nein, verbrennen. Verbrennen war dramatischer. Vogelverbrennung, so würde er sein Opfer nennen. Er zog eins der Alben aus dem Regal: Exotische Volierenvögel . Drei Blätter für Liedjes kranke Brust. Drei besonders schöne, damit es wirklich half. Nach einigem Blättern beschloss er, die Dreifarbentangare, den Indigofinken und die Safranammer zu opfern.
    Er versteckte die Gans unter seinem T-Shirt, lief die Treppe hinunter, sah nach, ob die Luft rein war, und setzte den Vogeldraußen auf den Boden. Dann nahm er eine Schachtel Streichhölzer aus einer Küchenschublade und rannte wieder nach oben. Dort riss er die drei Blätter aus dem Album, es tat ihm in der Seele weh. Er öffnete das Fenster und zündete das Papier über dem Waschbecken an. Die dünnen, vergilbten Blätter brannten gut. Schwarze Fetzen trudelten ins Becken. Er opferte noch ein viertes Blatt: den Sonnenvogel. Dafür sollte Gravitation sich wieder melden.
    Dann wischte er das Waschbecken sauber und warf die verkohlten Fetzen in den Papierkorb. Sein Zimmer war blau von Rauch. Er fühlte sich high, aber das konnte noch an dem Gras liegen, das er geraucht hatte. Toon behauptete immer, er rauche heavy shit .
    Er loggte sich ein, um vielleicht ein Lebenszeichen von Gravitation zu erhalten, und ermahnte sich dann zur Geduld. Man durfte nicht sofort Ergebnisse erwarten. So funktionierten Opfer nicht.
    Als er in der Küche gerade eine Flasche Cola an den Mund setzte, sah er seinen Onkel mit Krücke und Eimer angehumpelt kommen. Er öffnete ihm die Tür und übernahm den Eimer. Onkel Fred hinkte zur Spüle, er wusch sich Hände und Gesicht. »So. Das ist besser.« Er atmete tief ein. »Hier riecht’s nach Rauch. Zigarettenrauch.«
    »Ich rieche nichts«, sagte Gieles.
    »Rauchst du etwa?«, fragte Onkel Fred. Er trocknete sich das Gesicht mit einem Geschirrtuch ab.
    »Gestern Abend hab ich Toon gesehen«, sagte Gieles, als hätte er die Frage nicht gehört. »Seine Mutter hat Brustkrebs.«
    »Liedje Keijzer?« Onkel Fred schaute ihn bestürzt an. »Wie furchtbar.«
    Er blickte auf seine Hände, die vom Kirschenpflücken immer noch violett waren, und sah dann wieder Gieles an.
    »Wie geht es ihr denn?«
    Gieles zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht.« Die mögliche Amputation und vor allem Toons Behauptung, aus abgeschnittenen Brüsten würde Schweinefutter gemacht, erwähnte er nicht. Gestern im Wäldchen hatte er das noch geschluckt,

Weitere Kostenlose Bücher