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Glencoe - Historischer Roman

Titel: Glencoe - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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Buchenlaub. Als Sarah sich endlich dem Pfeil zuwandte, bohrte der sich weit hinter dem Ende der Wurfbahn in die Erde.
    Kurz herrschte Stille, dann brüllte der Onkel los: »Betrüger. Falschspieler. Habt ihr gesehen, wie er über die Linie getreten ist, wie er die Regel gebrochen hat, als wäre er nicht bei ehrbaren Leuten? Diebe und Lügner sind die aus Glencoe, die kommen schon mit Falschheit im Herzen zur Welt!«
    Entfesselt stimmte die Menge ein. Röhren, Fluchen, Drohen. Das Gesicht des Beschimpften schien unbewegt, doch auf einmal drehte er den Kopf und sah hinauf in den Baum. Auf Sarah.
    »Der meint, ich ließe ihn mit dem Gold meiner Mutter ziehen!«, schrie der Onkel. »Aber da irrt er. Eine Tracht Prügel ist alles, was er in Glenlyon einsacken kann – kein Gold und schon gar keine Braut. Los, Männer, her zu mir, zeigt dem Dreckskerl, wer ihr seid!«
    In dem Gewirr der Leiber sah Sarah Waffen zucken, Knüppel, Gerten, Klingen. Der Fremde senkte eine Hand auf seinen Dirk, den Dolch in seinem Gurt. »Behalt dein Gold, Rob Glenlyon, doch auf die Braut habe ich ein Anrecht. Ohne die geh ich von hier nicht weg.«
    Vier Männer traten zu ihm. Sie trugen Heide an den Bonnets, und einer von ihnen war noch größer und stämmiger als er. »Wir sind gekommen, um die Braut meines Bruders abzuholen«, sagte der Große. »Gebt sie heraus, und ihr seid uns los.«
    »Du hast mich gehört!«, schrie der Onkel. »Einen verbläuten Buckel kann er sich holen, aber keine Jungfer aus Glenlyon.«
    Der Große zog den Dirk und sprang auf Rob und seinen Haufen zu, aber Sandy Og riss ihn zurück. »Lass gut sein, John. Das hier ist meine Sache.«
    Die Männer von Glenlyon rückten vor und hoben ihre Waffen. Dass der Mann, auf den sie einprügeln wollten, den Kopf duckte und die Schultern krümmte, sah nur Sarah. Rob holte mit der Gerte aus und traf den Fremden am Hals. Wie eine Welle türmte und schloss sich die Menge, reckten sich Arme, pfiffen Stöcke, um auf ihn niederzuprasseln.
    Vielleicht hätten sie ihn totgeschlagen, das stille Gesicht, die schönen Schultern, alles zu einem Brei aus Blut und Knochen, hätte Sarah ihm nicht das Leben gerettet. Sie hatte ihn angestiert und einen Augenblick lang nicht achtgegeben, und auf einmal glitt sie vom Ast, verlor den Halt und stürzte in die Tiefe. Ich brech mir den Hals , dachte sie im Fall, aber wenigstens lassen sie den aus Glencoe laufen .
    Dann prallte sie auf.
    Es hatte höllisch wehgetan. Als zerschelle das Häuflein Sarah wie gebrannter Ton. Aber sie war nicht zerschellt. Kaum kam sie zu sich, wurde ihr klar, dass sie sich keinen Knochen gebrochen, sondern nur Schulter und Hüfte geprellt hatte. Auch erhielt sie keine strenge Strafe – dazu war sie in dem Wirrwarr nicht wichtig genug. Als die Menge schon wieder auseinanderströmte, blieb nur Robs Frau Helen bei ihr, zerrte sie auf die Füße und ohrfeigte sie. »Komm mit jetzt. Keine Feier mehr für dich.« Damit war sie abgefertigt.
    Sarah trottete hinter der Tante her. Sie drehte sich nicht um und stellte keine Frage, sondern ging stumm den Weg bis zum Torhaus des Schlösschens, das wie überzuckert auf seinem Vorsprung thronte. Meggernie, der Sitz des Onkels. Rob, der Tropf, hatte die Großmutter stets gewettert. Seinen Bälgern setzt er Lehm und Wasser vor, und aus dem gottverfluchten Meggernie macht er einen Palast . Sollte Sarah etwa fortan in diesem Palast schlafen, in dem man mit jedem Atemzug ein Stück kostbaren Inventars beschädigte? Die Großmutter hatte sich dem stets widersetzt und war stur in ihrem windschiefen Haus geblieben.  
    Es dämmerte schon, als sie das Tor passierten und sich die Schuhe auszogen, wie der Onkel es zur Schonung der Böden verlangte. »Beeil dich«, sagte die Tante und zerrte Sarah mit sich durch die Halle, »komm in die kleine Stube und setz dich zu Tisch.«
    Für ihren Frevel erwartete Sarah, kein Nachtmahl zu erhalten, aber die Tante ging doch hinüber ins Küchenhaus und ließ ihr einen Napf mit Suppe auffüllen. Den stellte sie vor Sarah. »Iss.«
    Sarah nahm den Löffel, konnte aber nicht essen, denn von dem Sturz tat ihr alles weh und etwas brannte in ihrem Kopf.
    »Wird nicht leicht werden, dich durchzufüttern«, sagte die Tante. »Reicht ja kaum für die eigene Brut.«
    Dann lass mich doch verhungern , dachte Sarah trotzig. Vor deiner Suppe packt mich ohnehin das Grausen. Auf Meggernie wirktezwar selbst der Napf für alltägliche Speisen teuer und zerbrechlich, aber das

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