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Gletschergrab

Gletschergrab

Titel: Gletschergrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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sich intensiv mit dem Nationalsozialismus und dem Untergang des Dritten Reiches. Zu ihrer Verwunderung hatte es seinerzeit zahlreiche Theorien über das Schicksal von Adolf Hitler gegeben. Sie wusste, dass er Weisung gegeben hatte, seine sterblichen Überreste in seinem unterirdischen Bunker in Berlin zu verbrennen, wenn die Russen in Berlin einmarschierten. Nach dem Krieg wurden jedoch viele Zweifel 336

    laut, ob das tatsächlich sein Ende gewesen war. Kristín fand heraus, dass das Ergebnis einer Untersuchung seiner Überreste, die die Russen erst eine ganze Zeit nach seinem Tod am 30.
    April 1945 veröffentlicht hatten, lautete: »Wahrscheinlich die Leiche von Hitler.« Die Russen behaupteten ebenfalls gleich nach Kriegsende, sein Gebiss mit den Eintragungen in der Zahnarztkartei verglichen und Übereinstimmung festgestellt zu haben. Kurze Zeit später kam aber das Gerücht auf, dass die Briten ihn in ihrem Sektor von Berlin gefangen hielten, und auf der Potsdamer Konferenz erklärte Stalin, dass die Russen nichts über seinen Verbleib wüssten; sie hätten seine Leiche nicht gefunden. Stalin behauptete, er habe sich wahrscheinlich in Spanien oder Südamerika versteckt. Daraufhin kamen wilde Theorien auf. Es hieß, er halte sich in einem spanischen Kloster oder auf einer Ranch in Südamerika auf. Sie stieß auch auf die Theorie, dass die Briten ihn an Bord eines U-Boots genommen und auf eine ferne Insel gebracht hätten. Sie las, dass Stalin gegen Kriegsende den Verdacht gehabt hatte, die Briten stünden in geheimen Unterhandlungen mit deutschen Verhandlungspartnern.
    An einer Stelle las sie, dass Hitler gesagt haben sollte, ihm würden zum Schluss nur zwei Freunde bleiben, Eva Braun und sein Hund.

    Ein halbes Jahr nach diesen Ereignissen fand sie eines Tages in der Waschküche unter einem Haufen schmutziger Wäsche den Winteroverall wieder. Sie hatte sich noch nicht dazu aufraffen können, ihn zu waschen, denn sie fand überhaupt kaum Kräfte genug für Hausarbeit. Bevor sie ihn in die Waschmaschine steckte, durchsuchte sie wie gewöhnlich die Taschen auf Gegenstände, die die Maschine beschädigen konnten. Sie fand einen zusammengefalteten Zettel, auf dem unter anderem stand: OPERATION NAPOLEON. Das war einer von den Papierfetzen, die Jón bei der Leiche des deutschen Offiziers 337

    gefunden und Kristín überlassen hatte. Sie wusste, dass dieser Schnipsel Teil der deutschen Version der Napoleonakte war. Im Schein einer starken Lampe versuchte sie, die Schrift zu entziffern.
    Sie konnte nur vereinzelte Worte erkennen, die sie niederschrieb, und auch einzelne Buchstaben aus ansonsten unleserlichen Wörtern. Nachdem sie das Blatt sorgfältig abgeschrieben hatte, ging sie ein paar Tage später damit zu einem ihrer Bekannten im Außenministerium, der eine Zeit lang als Botschaftsrat in Deutschland tätig gewesen war. Sie bat ihn, den Text ins Isländische zu übersetzen und die Lücken möglichst mit eigenen Vorschlägen zu vervollständigen. Sie wich ihm währenddessen keinen Schritt von der Seite. Sie sagte ihm nicht, um was es ging, woher sie den Text hatte oder in welchen Zusammenhang er gehörte. Es gelang ihm, das Ganze zu übersetzen und sogar einen gewissen Zusammenhang hineinzubringen, aber er hatte keine Ahnung, was es bedeutete:

    … eine Insel vorgeschlagen, die an der Spitze von Argentinien liegt, weitab der normalen Schiffspassagen an der Südspitze Argentiniens. Dort befindet sich ein kleiner Archipel, der völlig unbewohnt ist und als Bestimmungsort geeignet wäre. Früher war die Inselgruppe bewohnt, aber die Einwohner haben sie schon vor langer Zeit aufgegeben, denn es ist karg und unwirtlich dort. Die Insel, die wir ins Auge gefasst haben, heißt in der Landessprache Borne. Sie ist die drastischste Alternative.
    Die anderen beiden Orte, die im Rahmen der OPERATION
    NAPOLEON erwähnt werden …

    Mehr stand nicht auf dem Blatt. Kristín nahm es mitsamt der Übersetzung mit nach Hause. Sie erzählte niemandem etwas von ihrer Entdeckung, auch nicht Elías oder Júlíus. Sie versuchte, dieses Wissen zu verdrängen, aber das gelang ihr nicht. Sie hatte 338

    gerade ihr inneres Gleichgewicht wiedererlangt, als sie das Stück Papier fand, und jetzt stürmten die Erinnerungen wieder auf sie ein, die Erinnerungen an die Ereignisse auf dem Gletscher, an Steve und an das, was Miller gesagt hatte.
    Sie starrte den Schnipsel eine ganze Weile an, steckte ihn dann in eine Schublade und verschloss

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