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Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Titel: Gletscherkalt - Alpen-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan König
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famos!
    Welch ein Lohn für die Mühen des langen und weiten Anstiegs.
    Freilich, Hellwage wäre lieber allein gewesen hier oben, so wie er
es schon einige Male erlebt hatte. Allein mit sich und seinen Eindrücken vom
Gebirge. Dass der Gipfelstürmer auch da war, mit dem Rücken am Gipfelkreuz
lehnte und sein Gesicht in die Sonne hielt, missfiel ihm, ohne dass er genau
hätte sagen können, warum.
    Hellwage grüßte ein weiteres Mal, setzte ein paar Schritte vom
Gipfelkreuz entfernt den Rucksack ab, zog das verschwitzte Hemd aus und
streifte sich ein trockenes T-Shirt über. Ein kleiner, ebener Platz gewährte
ihm angenehmes Sitzen, ein von der Sonne schon erwärmter Felsbrocken diente als
durchaus bequeme Rückenlehne.
    Er öffnete seinen Rucksack, holte eine Flasche mit einem
Elektrolyt-Getränk und eine Tupperbox mit Proviant heraus, stellte beides neben
sich, rührte aber zunächst einmal weder vom Essen noch vom Trinken etwas an.
    Er wollte nur dasitzen, verschnaufen und das wahrhaft überwältigende
Panorama auf sich wirken lassen. Beherrscht wurde diese Breitwand-Bergsicht vom
Langkofel-Massiv, das sich jenseits des Grödnertales erhob. Begeisterter
Bergwanderer, der er geworden war, kannte Hellwage jede der markanten
Felsgestalten dieser Gebirgsgruppe, die sich in den seidig blauen Himmel
reckte. Ganz rechts der Plattkofel; eine gleichmäßige, wie mit dem Lineal
gezogene schiefe Ebene führte von Südwesten her zum Gipfel. Daneben die
Grohmannspitze, beinahe unspektakulär im Vergleich zum östlichen Nachbarn, der
Fünffingerspitze. Es gelang ihm nicht ganz, den Ringfinger vom kleinen Finger
zu unterscheiden, die Perspektive war etwas ungünstig. Aber es war ganz
zweifelsfrei die Form einer Hand, die sich nach oben reckte, und der Daumen war
ein Daumen, daran konnte schon überhaupt kein Zweifel bestehen. Am mächtigsten
freilich zeigte sich der Langkofel selbst; seine massige Nordkante maß etwa
tausend Höhenmeter, und man sah ihr an, dass es sich dort um schwierige
Kletterei handeln musste.
    Weiter im Osten lag der lang hingestreckte Sellastock, ein von
Bändern durchzogenes Felsgebirge, das im Süden von den berühmten Sellatürmen
eindrucksvoll begrenzt wurde. Und jenseits der Sellatürme, viel weiter noch im
Süden, da prangte mit mattem Weiß der Gletscher an der Marmolata. All das, der
Langkofel, die Sella und vor allem auch die Marmolata, waren Berge, die Hellwage
viel zu ernst und zu schwierig waren. Er mochte es viel lieber, wenn ein ganz
normaler Weg zum Gipfel führte. Das Spektakuläre der Dolomitenlandschaft genoss
er wandernd, schauend, staunend …
    Aber vielleicht hätte mich ja auch das richtige Bergsteigen gereizt,
dachte er, und das Klettern, wenn ich nur früher Zugang dazu gefunden hätte.
    Doch unglücklich war er deswegen nicht. Er genoss jede Stunde.
    »Toller Tag heute«, sagte der Mann, der zuvor an ihm vorbeigestürmt
war.
    »Mmh«, machte Hellwage. »Kann man wohl sagen.«
    »Sie kennen Berge hier?«, fragte der Mann und zog sich ein eng
anliegendes Shirt über den muskulösen Oberkörper. Er deutete auf die Sella und
auf die Felsspitzen, die sich nördlich davon erhoben.
    Hellwage nickte. Ihm fiel auf, dass das Deutsch des Mannes nicht
akzentfrei war.
    »Ja, kenn ich schon. Nicht jeden einzelnen beim Namen, aber so die
wichtigsten weiß ich.«
    Der Mann trat näher heran. Hellwage sah auf dem linken Unterarm eine
große, verwaschen wirkende Tätowierung unergründlichen Motivs. In seiner langen
journalistischen Laufbahn hatte er immer wieder mit tätowierten Männern zu tun
gehabt, und es hatte sich dabei zumeist um Leute aus zumindest zwielichtigem
Milieu gehandelt. Und ganz für sich hatte er für diese Tätowierungen den
Begriff »Halbweltsstempel« geprägt – das war allerdings vor der Zeit gewesen,
da Tattoos zu modischen Accessoires wurden und jedes vierzehnjährige
Schulmädchen ein Teufelchen oder einen Haifisch oder eine winzige Meerjungfrau
in die babyspeckigen Bauchschwarten gestochen haben wollte.
    »Und?«, sagte der Mann. »Sagen Sie, welche Berge sind.«
    Hellwage war nicht aus auf ein Gespräch. Aber was sollte er tun?
    Er veränderte seine Sitzposition ein wenig, deutete nach Osten und
sagte: »Das dort drüben, dieses breite Felsband, ist die Sella. Links davon
sehen Sie einen Einschnitt, wo von links her Wiesenhänge hinabziehen. Man kann
es nicht wirklich sehen, aber dort irgendwo ist das Grödnerjoch. Die spitzen
Gipfel darüber sind die Cirspitzen. Ja,

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