Gletscherkalt - Alpen-Krimi
voll neben der Kamera auf dem
Beifahrersitz lag. »Halt, mein Freund! Wer wird denn gleich in die Luft
gehen?«, rezitierte er den bekannten Werbeslogan der Marke. »Greife lieber zur HB , dann geht alles wie von
selbst!«
Mit dem glimmenden Anzünder steckte er die
Zigarette an, zog mehrfach kräftig und inhalierte den Rauch tief in die Lungen.
Er liebte das Gefühl, wenn der Rauch rau durch seine Atemwege strömte, ihn
wärmte und kühlte zugleich, und wenn er sich plötzlich leichter fühlte, so als
wäre es ein Gas, das den Ballon zum Aufsteigen brachte.
Einen Moment lang sah er die Rücklichter von
Spiss’ Wagen, doch schon Sekunden später waren sie wieder verschwunden.
Fährt auch langsamer jetzt, der geile Bock,
dachte er. Und er musste schmunzeln. Die Chance war noch nicht ganz vertan.
Der Asphalt glitzerte nass im Licht seiner
Scheinwerfer. Der Regen wurde wieder stärker. Und es war Weiß mit dabei – ein
Hauch von Schnee. Die Scheibenwischer quietschten über das Glas. Hätte ich
schon längst auswechseln sollen, dachte er. Es war nicht nur das Quietschen,
das ihn störte, sondern auch der Schmierfilm, der entstand, wenn die Wischer
den Regen mit dem Schmutz vermischten.
»Zum Kotzen, zum Kotzen, zum Kotzen«, maulte er.
Der Wischer quietschte und schmierte. Ein
Lieferwagen kam entgegen, und die schlecht eingestellten Scheinwerfer
blendeten, und das Licht brach sich an der verschmutzten Scheibe. Tinhofer
musste die Augen zusammenzwicken, um nicht über die Maßen geblendet zu werden.
Intuitiv ging er vom Gas. Hätte er das nicht
getan, wäre er gegen die Felsen gedonnert, die linker Hand die Straße
begrenzten. So aber brachte er den Wagen gleich wieder unter Kontrolle.
Hektisch stäubte er die heruntergefallene Glut
der Zigarette von seiner Hose. Er atmete schwer, und seine Finger zitterten. Er
wusste, dass er gerade noch einem Unglück entgangen war. Und wieder sah er das
Gesicht seiner kleinen Tochter und die Augen seiner Frau. Beruhigen konnte ihn
das nicht.
Er verfluchte seinen Job, und er verfluchte die
Redakteure, die rauchend in ihrem Großraumbüro saßen und nicht Kopf und Kragen
riskieren mussten, um ihr Geld zu verdienen. Und er bedauerte sich selbst,
nicht Reise-oder Modefotograf geworden zu sein, sondern nur ein gottverdammter
Paparazzo, der angesehenen Geschäftsleuten nachspionierte, die Schulmädchen
fickten.
Der Adrenalinstoß hatte ihn hellwach gemacht. Es
war ihm, als hätte er drei Caffè corretto con Cognac hinuntergekippt und wäre
jetzt in der Lage, die ganze Nacht und den folgenden Tag pausenlos
durchzufahren. Doch aus Erfahrung wusste er, dass dieser Zustand nicht ewig
anhalten würde. Im Gegenteil, bald würde der überstandene Schrecken seinen
Tribut fordern. Zum Glück war es nicht mehr weit.
In einer halben Stunde bin ich zu Hause, dachte
er. Und dann leg ich mich ins Bett, kuschle mich an ihren warmen Körper und
lass mich vom Rest der Welt am Arsch lecken.
Wie hätte er ahnen können, dass er vom Adrenalin,
das wie eine Droge wirkte, noch eine Überdosis abbekommen sollte?
*
Die Straße war feucht, und die Nacht war
kalt. So kalt, dass die Nässe in einigen waldbeschatteten Kehren zu gefrieren
begann. Spiss ließ den Wagen elegant durch die Annemarie-Moser-Pröll-Kurven
gleiten. Er selbst hatte dieser weichen Kurvenfolge unterhalb der Europabrücke
den Spitznamen gegeben: Sie waren in ihrer Aneinanderreihung so gleichmäßig wie
die Schwünge der prominenten Skifahrerin auf einem steilen Hang.
Spiss genoss es jedes Mal, sein Auto durch diese
Kurven zu steuern, Riesenslalom zu fahren und zu spüren, wie der starke Motor
den schweren Wagen durch die Biegungen schob. Er genoss es sehr, und an diesem
Abend noch mehr als sonst. Es war ein ganz besonderes Gefühl, neben sich ein
nacktes Mädchen sitzen zu haben und ihre Hand an seinen Genitalien zu spüren.
Spiss war stolz auf sich. Er hatte es zu etwas
gebracht. Firma, Familie, Erfolg, Vermögen. Und eine Geliebte, von der andere
aus seiner Generation nur träumen konnten.
Er dachte ein paar Augenblicke an die Zeit, als
er sechzehn oder siebzehn gewesen war, heftige Akne im Gesicht, die Haare
widerspenstig gegen jede Art angesagter Frisur – ein junger Kerl, der bei den
Mädchen kaum Chancen hatte, selbst Elli mit den schlechten Zähnen und der
Knollennase hatte ihm einen Korb gegeben, damals beim Tanzkurs im Stadtsaal.
Standardtänze: Samba, Bossa nova, Walzer natürlich. Und Tango. Den kapierte
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