Glitzerbarbie
am Hals.
Wir werden gebeten, im Besprechungszimmer »noch einen kleinen Moment Platz zu nehmen«. Der Herr Doktor käme dann gleich. Das Besprechungszimmer ist so groß wie ein Fußballplatz und sieht von der Einrichtung her aus wie das Arbeitszimmer von Blake Carrington im »Denver Clan«. In der Mitte steht ein überdimensionaler Schreibtisch mit einem Bild von der Frau des Doktors (hundertprozentig geliftet) und seinen fünf Kindern, die entweder Fünflinge sind oder von ihrem Vater so operiert wurden, dass sie aussehen wie Fünflinge.
An der Wand Fotos von den Fähigkeiten des Herrn Doktors, auf den wir eben nochmal einen kleinen Moment warten müssen.
Foto 1 : eine Frau mit einer Nase, die so lang wie die von Pinocchio ist. Daneben dieselbe Frau ohne Pinocchio-Nase, sondern
mit einer ganz normalen. Da hat er wohl ein wenig schnippeln müssen, der Herr Doktor. Foto 2 : eine Neunzigjährige. Daneben ist die Neunzigjährige plötzlich fünfundzwanzig. Da hat er wohl ein wenig gestrafft, der Herr Doktor. Offensichtlich ist der Herr Doktor eine Koryphäe auf seinem Gebiet, eine ganze Wand ist mit Urkunden und Auszeichnungen behängt. Da kann man ja nur hoffen, dass bei Richard alles gut geht.
Die Tür geht auf, und da ist er ja, der Herr Doktor. Jovial kommt er mit ausgestreckten Armen auf uns zu und begrüßt uns überschwänglich, was ich nicht weiter verwunderlich finde, da die Krankenkasse eine Kopie der Gebührenaufstellung des Herrn Doktors an Richard gefaxt hat. Die Operation kostet so viel wie ein Reihenendhaus in guter Wohnlage mit Gärtchen.
Reihenendhausbesitzer sind mir ein Gräuel. Reihenendhausbesitzer grillen am Wochenende, und die Männer tragen lange Schürzen, auf denen steht: »Heute ist Papi der Meisterkoch«, während ihre Ehefrauen Kartoffelsalate mit selbst gemachter Mayonnaise zubereiten. Auf den Frühstückstischen von Reihenendhausbesitzern stehen Gefäße, auf denen der Schriftzug »Nur für Tischabfälle« zu lesen ist. Sie füllen für acht Tassen Kaffee neun Löffel in den Filter, weil ein Löffel »für die Kanne« ist.
Reihenendhausbesitzer haben auch keine normalen Klingelschilder, sondern Salzteigplatten, auf denen steht: »Hier leben, lieben und streiten sich« und dann die ganzen Namen.
Der Herr Doktor jedenfalls kann sich wahrscheinlich hundert Reihenendhäuser leisten. Er holt die Unterlagen hervor und will uns dann gleich mal die Operation erklären. Wir beugen uns gespannt nach vorn, als er eine große Mappe herauskramt. Er sieht mich an und sagt: »Sie müssen unbedingt die Nachuntersuchungen einhalten und regelmäßig Ihren Hormonhaushalt kontrollieren lassen, dann kann eigentlich gar nichts schief gehen.«
»Ähem«, sagt Richard. »Es dreht sich hier ja wohl um mich.«
Der Doktor ist verwirrt und mustert uns nacheinander. Dann holt er eine Brille aus seinem blütenweißen Kittel und setzt sie auf. Er wird ganz rot, der Herr Doktor, und entschuldigt sich vielmals. Das hätte noch gefehlt, dass ich dann plötzlich vier Brüste gehabt hätte.
Eine Stunde später haben wir den OP -Termin, und Richard ist überglücklich. Ich allerdings bin mit den Nerven fertig, nachdem ich gehört habe, was da alles untenrum so passiert. Was alles weggeschnitten und wieder angesetzt wird und überhaupt. Aber bitte. Aber bitte. Mir soll es recht sein. Außerdem findet Richards Freundin (bereits operiert) Männer furchtbar, und deswegen muss alles ganz schnell über die Bühne gehen.
Richards rote Albinoaugen leuchten, als wir die Arztpraxis verlassen. Er ist so was von glücklich. »Gehst du mit mir BHs kaufen, Caro?«, fragt er mich. Ich nicke. Richard kann nichts allein außer renovieren. Ich habe jetzt schon Angst davor, dass ich ihm zeigen muss, wie man es sich selbst macht, wenn er erst mal zur Frau umoperiert ist. Womöglich muss ich dabei auch noch neben ihm sitzen und applaudieren, sollte es klappen.
Wir fahren gemeinsam in die Praxis von Marius, um ihn dort abzuholen. Marius ist Eheberater und Psychotherapeut und hat seine Praxis in Frankfurt, das ist nicht weit von Watzelborn entfernt. Da wohnen wir nämlich alle.
Marius hat einen sehr guten Ruf als Eheberater, und ich liebe es, die ganzen Geschichten zu hören. Noch besser allerdings ist es, heimlich in den Protokollen und Unterlagen zu stöbern, wenn er gerade jemanden im Besprechungszimmer hat. Geht jetzt natürlich nicht.
Wir warten in Marius’ kleiner Küche, die zu seiner Praxis gehört. Mein Kollege Bob
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