Glockenklang von Campanile
noch zu helfen.
Sie legte das Bild in die Schublade zurück und gab der Schlafenden einen Kuss auf die Wange.
“Leb wohl,
Mamma”
, flüsterte sie. “Es tut mir leid, dass ich nicht sein konnte, was du von mir erwartet hast. Aber ich bin gekommen, um dich zu besuchen – du hast es immer gewusst.”
Francesco war am nächsten Morgen pünktlich im Hotel. Sonia wartete bereits in der Hotelhalle auf ihn, und er trug ihr das Gepäck hinunter zum Landesteg, an dem das Bootstaxi bereitlag. Er stieg ein und half ihr beim Einsteigen. Das Boot schwankte, und sie klammerte sich an ihn.
“Geht es dir gut?”, fragte er leise.
Sonia lächelte verzerrt. Wieso fragte er eigentlich? Wie konnte es jemals einem von ihnen wieder gut gehen?
Die kurze Fahrt den Canale Grande entlang hielt er ihre Hand, bis die breiten Stufen des Bahnhofs in Sicht kamen. Der Anblick erinnerte ihn schmerzlich daran, wie wenig Zeit ihnen noch blieb.
Er trug ihre Reisetasche zum Zug, brachte sie zum Platz und setzte sich neben sie.
“Wir sind zeitig da”, sagte sie und lächelte.
“Ja, wir haben noch zehn Minuten”, gab er gepresst zurück.
Sonia wünschte, sie würde ein paar passende Worte finden. In zehn Minuten würde der Zug sie für immer von ihm forttragen. Sie konnte es nicht verhindern. Wollte sie es überhaupt? Sie wusste es nicht, spürte nur, wie ihr das Herz wehtat. Um ihre Unsicherheit zu überspielen, machte sie eine Bemerkung über die Pünktlichkeit italienischer Züge, und er lächelte und nickte.
Schweigen. Die Sekunden verrannen.
“Vielleicht gehst du jetzt doch besser”, sagte sie schließlich. “Sonst schaffst du es nachher nicht mehr, rechtzeitig hinauszukommen.”
“Sonia …”
“Nein!”, rief sie verzweifelt. “Ich kann nicht.”
“Du kannst. Es sind nur zwei Worte.
Ich bleibe.
Sag sie. Sag sie!”
“Etwas zu sagen, ist leicht. Erinnerst du dich an diese wundervollen Schwüre, die wir getauscht haben? Aber letztendlich waren es nur Worte. Wenn ich bliebe, würde es nur wieder so enden.”
Er streichelte ihr Gesicht. Es gab nichts mehr zu sagen.
Türen wurden zugeschlagen, Leute rannten herum.
“Leb wohl”, sagte er weich. “Leb wohl, meine …” Er brach mit einem erstickten Laut ab und presste seine Lippen auf ihre Hände. “Leb wohl, leb wohl.”
“Liebling”, flüsterte sie, “bitte …”
Sie wusste nicht einmal, worum sie ihn bat. Bitte, lass mich nicht gehen. Bitte, lass etwas geschehen, dass ich bleiben muss. Der Schmerz wurde heftiger.
“In Ordnung”, sagte er. “Ich will es dir nicht schwer machen. Leb wohl.”
Er erhob sich, um zu gehen. Sie stand auch auf. Aber plötzlich erfüllte dieser schreckliche Schmerz nicht nur ihr Herz, sondern ihren ganzen Körper. Er war so durchdringend, dass sie aufkeuchte und sich an Francesco klammerte.
“Was ist los?”, fragte er alarmiert.
“Nichts, ich habe nur … Ah! Das Baby …” Erneut dieser schneidende Schmerz, und sie presste die Hände auf den Bauch.
“
Mio dio!
Ich muss dich ins Krankenhaus bringen.”
“Ja … bitte”, keuchte sie. “Schnell.”
Behutsam half er ihr wieder aus dem Zug und führte sie zu einer Bank. Dann rannte er zurück, um ihr Gepäck zu holen. Er war gerade wieder auf den Bahnsteig gesprungen, da setzte sich der Zug in Bewegung.
“Francesco!” Sonia streckte ihm die Hand entgegen.
“Ich bin hier.” Rasch kam er auf sie.
“Verlass mich nicht.”
“Niemals. Halt dich an mir fest,
amore mio
, gleich sind wir im Krankenhaus.”
Bahnangestellte hatten mitbekommen, was los war, und eilten auf sie zu, um zu helfen. Ein Mann rollte im Eiltempo einen Rollstuhl heran, und Francesco half ihm, Sonia hineinzusetzen.
“Schnell!”, drängte sie.
“Gleich sind wir im Krankenhaus”, wiederholte er.
Ihr Zustand hatte sich schnell herumgesprochen. Überall machten ihnen die Leute Platz. Irgendjemand hatte ein Bootstaxi herangewinkt, und als sie die Stufen zum Wasser erreichten, wartete es dort bereits. Es bildete sich eine kleine Menschenmenge. Einige Männer beeilten sich, Francesco mit dem Rollstuhl die Stufen hinunterzuhelfen. Freundliche Hände wurden ausgestreckt, um Sonia ins Boot zu heben. Ermunternde Worte erklangen.
“
Grazie, grazie!”
, rief Francesco zurück.
Ich habe so vieles vergessen, dachte Sonia. Wie freundlich die Menschen hier sind, wie sehr sie das Leben lieben. Als wären alle Venezianer eine einzige große Familie, die sich mit ihr auf die Geburt ihres Kindes freute.
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