Glueck allein
so sehr nach seiner Nähe sehnen, dass ich bald jeden Raum zwischen uns kaum mehr ertrug. Als die Musik leiser wurde, verharrten wir einen Moment und ich fühlte, wie wir gemeinsam atmeten. Er sah mich an und war dabei so düster und schön, dass ich benommen zu Boden sah. Mit einer Hand hob er mein Gesicht und küsste mich. Einen Moment dachte ich, der Boden unter meinen Füßen würde entgleiten. Dann fühlte ich nur noch seine Lippen, seine Küsse, seine unerwartete Hingabe und Leidenschaft, als liebte er mich, als habe er seit langem nichts anderes ersehnt. Mein Körper lebte auf unter seinen Berührungen und wurde dann ganz weich, während ich versuchte, mir diesen Moment in mein Gedächtnis zu brennen, obwohl ich ahnte, er würde mir wie so viele seiner Art entfallen.
Für eine lange Zeit blieb das Gefühl, eins zu werden mit meiner Umgebung und frei wie nie zuvor zu sein, nichts mehr zu werten, nur noch zu leben und überhaupt keinen anderen Gedanken zu haben, als an unseren gemeinsamen Tanz. Julian hatte mich alles vergessen lassen, so dass es mich erschrak, als plötzlich die Musik ausging.
Draußen färbte sich der Himmel rötlich-blau. Hand in Hand stiegen wir die Treppe, an deren Anfang wir uns kennengelernt hatten, wieder hinauf. Ein kühler Morgenwind wehte mir entgegen. Hinter uns wurden die Türen verschlossen.
»Wie endet deine Geschichte? Bringt er alle um?«, fragte ich fröstelnd.
»Wahrscheinlich«, antwortete er und legte seinen Arm um meine Schultern.
Im Taxi sprachen wir kaum ein Wort miteinander, genossen nur in stiller Erregung unsere Nähe.
»Ich komme nicht mit hoch«, sagte er vor meinem Haus.
»Was?« Eine maßlose Enttäuschung breitete sich in mir aus.
Er hielt meine Hand, befühlte jeden einzelnen Finger, während er fragte: »Die Nummer, die du mir gegeben hast, ist richtig, oder?«
Ich nickte. »Warum kommst du nicht mit?«
»Aus Rücksicht«, sagte er und lächelte mich an.
Rücksicht? Erstaunt sah ich ihn an. Ich wollte widersprechen, wollte nicht, dass er geht, wollte ihn nicht loslassen, wusste aber, er hatte Recht.
Es dauerte lange, bis wir uns verabschiedet hatten und er in der Dunkelheit verschwand. Ich überlegte, ob die Nummer, die ich ihm gesagt hatte, richtig war, ob er sie richtig verstanden und richtig in sein Telefon eingetippt hatte. Die Zweifel ließen meine Wohnung wieder einsam und leer erscheinen.
Als ich im Bett lag und die Augen schloss, tauchte plötzlich das Gesicht des Holländers vor mir auf, das ich bereits vergessen hatte. Wieder brüllte er mich mit blutunterlaufenen Augen an und ich dachte an Leo und sah, wie er einer anderen Frau nachschaute und gleich danach Florian, wie er dieselbe Frau küsste.
Gekränkt öffnete ich die Augen. Es war fast acht, zu spät, viel zu spät für den Vortrag und der Ärger darüber machte mich hellwach. Aufgescheucht riss ich die Decke zur Seite, stand auf und lief wie ein eingesperrtes Tier in meiner Wohnung umher, bis mein Handy piepte.
»Guten Morgen«, schrieb Johannes. »Ich wollte dir nur gute Besserung wünschen und hoffe, dich nächste Woche wieder in der Uni zu sehen.«
Johannes? Ich war erstaunt. Es war die erste Nachricht, die er mir jemals geschrieben hatte. Woher hatte er überhaupt meine Nummer? Von Pierre wahrscheinlich, vermutete ich, als ich mich wieder hinlegte. Vielleicht hatte er auch die Sekretärin gefragt oder im Telefonbuch nachgeschaut, überlegte ich, während meine Gedanken vor Müdigkeit bereits verschwammen. Mein Handy steht doch nicht im Telefonbuch, dachte ich zuletzt und schlief ein.
Kleinmädchenglaube
Obwohl ich ihn in dieser Nacht unzählige Male mit meinen Blicken verschlungen hatte, konnte ich mich bereits am Morgen danach nicht mehr an sein Gesicht erinnern. Wieder und wieder hatte ich versucht, mir seine Züge ins Gedächtnis zu rufen, die Form seiner Augen, seiner Nase, seiner Wangen, aber es war mir nicht gelungen. Unweigerlich waren mir Zweifel gekommen, ob er der Richtige war.
»Schau dir den Typen doch erst mal ein paar Wochen an, bevor du irgendetwas darüber sagst«, raunte Johannes, als ich ihm davon erzählte.
»Aber wenn man füreinander bestimmt ist«, wandte ich ein, als er mir unwirsch ins Wort fiel: »Das ist naiv, Emilia. Ein Kleinmädchenglaube.«
Ich erwartete, dass sich Pierre nun auf seine Seite schlug, aber er betrachtete uns nur still, ohne dem Gesagten etwas hinzuzufügen.
»Nicht jeder verliebt sich gleich«, sagte Johannes und
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