Glück muß man haben
leer geblieben. Nun aber fand sich auch für diesen Tisch noch ein Gast, der unauffällig das Lokal betrat, sich unauffällig setzte und unauffällig zu der Tür hinblickte, die in die Küche führte. Und siehe da, es vergingen keine zwei Minuten – und wer erschien? Marianne!
Strahlend, der Zurufe junger Burschen an anderen Tischen nicht achtend, bahnte sie sich den Weg zu dem einzelnen Gast in der hintersten Ecke und begrüßte ihn: »Wilhelm, schön, daß Sie da sind. Ich wußte nicht mehr, welche Zeit wir ausgemacht hatten – halb fünf oder fünf …«
»Halb fünf«, sagte Wilhelm Thürnagel nicht weniger strahlend.
»Auf jeden Fall habe ich jetzt mal geguckt – wie sich herausstellte, zu Recht«, lachte Marianne und setzte sich rasch.
Er wäre viel lieber noch weit eher gekommen, erklärte Wilhelm in seinem holprigen Deutsch, aber das hätte ja wohl keinen Zweck gehabt.
»Hätte es auch nicht«, nickte Marianne. »Ich kam bis jetzt keinen Schritt aus der Küche heraus. Heute ging's wieder besonders heiß her. Die hier« – sie zeigte mit einer kreisenden Handbewegung auf alle Gäste im Lokal – »sind nicht im Stadion, wissen Sie. Aber nun wird's bald leichter, dann braucht mich Mutter nicht mehr. In einer halben Stunde, hoffe ich. Vorher bringe ich Ihnen aber noch ein Bier.«
Sie erhob sich wieder so rasch, wie sie sich gesetzt hatte. Ihr Vater, dem der neue Gast und die Begrüßung durch Marianne nicht entgangen war, zeigte sich verwundert, als seine Tochter plötzlich als Bedienung wirksam wurde.
»Für dich?« fragte er, nachdem sie ihn um ein Bier gebeten hatte.
»Nein, für Herrn Thürnagel.«
»Kann der nicht auf den Kellner warten?«
Marianne wurde rot. Die Männer an der Theke spitzten die Ohren.
»Doch, könnte er schon«, erwiderte sie. »Aber nun habe ich ihm schon versprochen, daß ich ihm das Bier bringen werde.«
»So?« stieß er hervor. »Aber zur Regel wird mir das nicht!«
In der Küche machte Marianne ihrem Herzen Luft. Empört berichtete sie ihrer Mutter den Vorfall und schloß: »Wenn Vater das noch einmal macht, wird er sich wundern, was passiert.«
»Was denn?« fragte Sabine.
»Ich werde Wilhelm veranlassen, nicht mehr herzukommen.«
Sabine konnte nur mit Mühe ein frohes Lächeln unterdrücken, während sie antwortete: »Vielleicht wäre das gar nicht so schlecht.«
»Seid euch aber im klaren, Mutter, daß ich ihn deshalb nicht seltener treffen würde – dann allerdings nicht mehr hier!«
Im Radio hatte die zweite Halbzeit begonnen. Der Bursche in Lederkleidung, der zu Beginn der ersten alle aufgefordert hatte, die Daumen zu halten, konnte für die ganze Übertragung kein Interesse mehr aufbringen, seit er den Spielstand in München kannte. Er schielte zum Tisch Wilhelms hinüber. Ihm paßte die Bevorzugung nicht, die Wilhelm durch Marianne erfahren hatte.
»Kennt ihr den?« fragte er seine zwei Freunde, mit denen er ins Lokal gekommen war.
Beide verneinten.
»Das heißt«, korrigierte sich einer, »ich habe ihn schon zwei- oder dreimal hier gesehen. Scheint öfter reinzukommen. Warum, ist klar. Weil er hier Chancen hat. Wer er ist, weiß ich trotzdem nicht. Er spricht mit keinem, er sondert sich ab.«
»Sondert sich ab?«
»Ja.«
Dem Burschen in der Lederkleidung paßte auch das nicht. Wenig später fiel in München ein Tor, erzielt von Schalke. Ein einziger Jubelschrei durchgellte die ›Sonnenblume‹. Noch einmal schöpften alle Hoffnung, auch der Jugendliche in der Lederkleidung. Seine Freunde riefen ihn Ted. Wilhelm interessierte ihn nicht mehr. Nun fieberte er Schalkes Ausgleich entgegen, dem sich sogar noch Schalkes Sieg anschließen konnte.
Daraus wurde aber nichts. Statt Schalke trumpfte noch einmal der FC Bayern auf und erzielte schließlich ein sensationelles 5 : 1. Ted war so sauer, daß er sich selbst nicht mehr leiden konnte. Dann fiel ihm wieder der Einzelgänger in der Ecke ein.
An der Theke herrschte eine Stimmung, die wahrscheinlich auch nicht die beste war.
»Solange die mit dem nicht Schluß machen«, erklärte Johann Schuhmacher, »solange die ihm keinen Tritt in den Arsch geben, kommen sie auf keinen grünen Zweig, merkt euch das!«
»Theo, noch einen Doppelten«, sagte sowohl Jupp Maslowski als auch Fred Szykowiak.
Maslowski konnte noch einen kargen Trost aus dem Ergebnis in Dortmund schöpfen. Dort war es bis zuletzt beim 0 : 0 geblieben. Es hatten also weder die Dortmunder noch die Stuttgarter verloren.
Der 1. FC Köln war
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