Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
Baureihe, direkt am Wald. Man kann sich ihm also ohne Aufsehen nähern.«
»Hat sie
Anzeige erstattet?«
»Sicher.
Aber was bringt das? Der Mann tat ja nichts, außer herumzulungern.«
Ich überlegte.
Ein wenig am Kopf kratzen, den Tee in der Tasse kreisen lassen. Es sollte zumindest
so aussehen, als überlegte ich.
»Und warum
sitzen wir dann hier? Ich meine, kam der Mann wieder? Gibt es konkretere Anhaltspunkte,
dass die Frau in Gefahr ist?«
Zwei Männer,
zweimal Kopfschütteln. »Er kam nicht wieder«, antwortete Dr. Eichelscheid, »und
wir sehen auch keinen Grund, warum er das tun sollte. Objektiv betrachtet besteht
kein Anlass zur Besorgnis. Aber Frau Glück macht sich Sorgen, und allein darauf
kommt es an. Wir als Sponsoren sehen uns in der Pflicht, ihr eine störungsfreie
Vorbereitung auf die Spiele zu ermöglichen.«
»Sie beide?«
»Ja. Sie
hat Verträge mit meiner Bank und mit der Metropolregion. Katinka Glück ist das Gesicht
unserer aktuellen Werbekampagne hier im Rhein-Neckar-Raum. Im April eröffnen wir
eine neue Niederlassung in Heidelberg.«
»Wir können
uns schlecht nachsagen lassen, wir hätten eine unserer Vorzeigeathletinnen im Stich
gelassen«, schnarrte Harboth. »Spitzenleistungen entstehen nur unter optimalen Bedingungen,
und die möchten wir unseren Leuten bieten.«
»Verstehe.
Meine Rolle wäre also die eines Aufpassers. Sieben Tage in der Woche, rund um die
Uhr?«
»Aber nein«,
wehrte Dr. Eichelscheid amüsiert ab. »Wo denken Sie hin? Ein Kindermädchen braucht
sie nicht, unsere Frau Glück. Zu Hause ist in der Regel ihr Mann da, und die wichtigsten
Trainingseinheiten absolviert sie in der Gruppe. Es geht um die Zeiten, in denen
sie allein ist: wenn sie zu Wettkämpfen fährt oder ihre langen Läufe macht.«
»Aber gerade
bei Wettkämpfen ist man doch nicht allein. Eher das Gegenteil!«
»Sie sprechen
von den Rennen selbst? Das schon, ja. Denken Sie aber auch an das Vorher und Nachher:
an die Anreise, die Fahrten zum Hotel, zum jeweiligen Veranstaltungsort, das Training
in einer fremden Stadt …« Wie von Mitleid übermannt, seufzte Eichelscheid auf. »Spitzensport
kann ein einsames Geschäft sein.«
»Die meisten
Athleten«, sagte Harboth, »sind mit einem Manager oder einer anderen Bezugsperson
unterwegs. Bei der Glück war das früher auch der Fall, aber inzwischen …« Seine
Mundwinkel schnellten auseinander. »In manchen Dingen hat sie ihre eigenen Vorstellungen,
unsere liebe Katinka.«
Innerlich
stöhnte ich auf. Wenn mir der Metropolmister noch einmal seine Reißzähne zeigte,
würde ich die Flucht ergreifen. Harboths Zahnarzt kam wohl günstig an Bleichmittel.
»Ja«, sagte
ich. »Frauen sind manchmal so. Männer auch. Wie war das mit den langen Läufen?«
»Lange Läufe?«,
stutzte Dr. Eichelscheid. Dann nickte er. »Richtig. Beim Marathontraining stehen
natürlich auch Einheiten von zwei oder mehr Stunden auf dem Programm. Frau Glück
läuft bevorzugt im Wald, und das sollte sie in nächster Zeit nicht ohne Begleitung
tun.«
»Wenn ich
100 Meter am Stück renne, kriege ich einen Herzinfarkt.«
»Sprachen
Sie nicht eben von einem Fahrrad?«
»Ach so,
ja.« Ich kratzte mich am Kopf. »Das wäre möglich.«
»Sehr gut«,
nickte Harboth und rückte demonstrativ seine Schreibtischuhr zurecht. »Dann lassen
Sie uns zusammenfassen …«
»Gern. Aber
könnte ich vorher noch mal so einen Grippetee bekommen? Mit Brausetabletten?«
Er nickte
und gab die entsprechenden Anweisungen durch. Dann wiederholte er, was Dr. Eichelscheid
bereits als meinen Aufgabenbereich umrissen hatte: die Läuferin begleiten, ihr Sicherheit
vermitteln, die Augen offenhalten, Verdächtiges melden.
»Sollte
der Unbekannte wieder auftauchen«, schloss Harboth, »finden Sie heraus, wer er ist
und was er will.«
»Aber rechnen
Sie nicht damit«, sagte Eichelscheid. »Das war bestimmt nur ein harmloser Spinner,
der mal sehen wollte, wie eine Olympiateilnehmerin so wohnt. Wie dem auch sei, hier
haben Sie einen Plan mit Frau Glücks Terminen für die kommenden drei Wochen.« Er
reichte mir ein mehrseitiges Dokument. »Wann und wo wir Sie brauchen, ist jeweils
vermerkt.«
Ich überflog
die Papiere. »Sie weiß jetzt schon, dass sie am Donnerstag in drei Wochen zweieinhalb
Stunden durch den Wald joggen wird?«
»Ihr Trainingsplan
steht im Grunde schon bis zu den Spielen fest.«
»Das nenne
ich mal durchstrukturiert«, brummte ich.
Hätte ich
es nur bleiben lassen! Harboths Vorzeigegebiss
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