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Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)

Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)

Titel: Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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vierter
Position. Einmal kam sie ins Stolpern und bedachte eine ihrer Konkurrentinnen mit
einem giftigen Blick. Die Gruppe um sie herum wurde immer kleiner. Der Hallensprecher
verkündete ihre Namen: zwei Polinnen, je eine aus Tschechien und den Niederlanden,
drei Deutsche.
    Noch sechs
Runden.
    Neben mir
vernahm ich ein Rascheln. Obwohl die Europahalle gut geheizt war, hatte der Mann
seinen Mantel nicht abgelegt. Ich schielte nach rechts und sah, wie er in seinen
Taschen kramte. Als Erstes kam ein Bonbon zum Vorschein, das er ohne Eile aus seiner
Hülle befreite. Bonbon einwerfen, die Verpackung zurück in die Tasche. Das Nächste
war ein Stift, der ebenfalls wieder eingesteckt wurde. Zuletzt hielt er einen weißen
Briefumschlag in der Hand.
    Beziehungsweise
im Handschuh. Denn genau das trug der Kerl, trotz der Wärme. Dünne, schwarze Laufhandschuhe.
    »Das Rennen
geht nun in seine entscheidende Phase«, tönte es aus dem Lautsprecher. Auf der Rundenanzeige
erschien eine 4. 800 Meter vor dem Ziel bestand Katinkas Gruppe nur noch aus den
drei Osteuropäerinnen und ihr selbst. Ihre beiden Landsfrauen waren deutlich zurückgefallen,
die Holländerin kämpfte verzweifelt um den Anschluss. Katinka dagegen schien mühelos
mit den anderen Schritt halten zu können.
    »Sie ist
eine Vorzeigeathletin«, kam es von rechts. »In jeder Beziehung. Und sie hat einen
knackigen Hintern, finden Sie nicht?«
    Anstatt
zu antworten, zog ich eine Grimasse. Mit Verachtung in allen vier Himmelsrichtungen.
Der Kerl würde schon kapieren, was ich von seinem Geschwätz hielt.
    Eine Frage
allerdings blieb, die entscheidende Frage: Was, um alles in der Welt, wollte er
von mir?
    »Ehrlich,
ich bin ein Fan von Katinka.« Er zwinkerte mir zu. »Auch wenn sie dieses Rennen
hier nicht gewinnt, wie die Experten sagen.«
    Erst sein
Zwinkern brachte mir zu Bewusstsein, was ich an der Erscheinung des Mannes so seltsam
fand. Er hatte keine Brauen. Bloß einen schwachen Flaum blonder Härchen über den
Augenhöhlen, der von der sattbraunen Haut regelrecht verschluckt wurde. Warum war
mir das nicht gleich aufgefallen? Nun, es war mir aufgefallen, aber nicht als konkrete
Tatsache, sondern als vages Gefühl, dass mit meinem Nachbarn irgendwas nicht stimmte.
Weder auf den ersten noch auf den zweiten Blick.
    »Worum geht
es?«, fuhr ich ihn an. »Wollen Sie ein Autogramm von ihr? Ein Foto, ihre Privatnummer?
Dann sind Sie bei mir an der falschen Adresse. Für solche Kinkerlitzchen bin ich
nicht zuständig.«
    »Auch nicht
als Mentaltrainer?«, grinste er.
    Ich starrte
ihn an. Sein Blick, blass und stechend gleichzeitig, hatte etwas Stalkerartiges.
Vielleicht stand er tagelang vor den Häusern gut aussehender Frauen und glotzte
durch die Fensterscheiben. Vielleicht rührte daher seine Bräune, und vielleicht
hatte er seine Brauen verloren, weil er sich ständig ein Fernglas gegen Joch- und
Stirnbein drückte.
    Ja, vielleicht
war der Blonde unser Mann.
    Weil diese
Gedanken ziemlich unkontrolliert durch meinen Kopf flipperten, fiel mir keine gescheite
Erwiderung ein. Was hätte ich auch sagen sollen? Sein Grinsen machte mich madig.
Unter meinem Hintern quietschten die maroden Plastiksitze. Unter seinem auch. Dabei
hatte Katinka den Unbekannten, der ihr angeblich auflauerte, ganz anders beschrieben:
breit, schwer, ein eher dunkler Typ. Der hier konnte es nicht sein. Höchstens in
Verkleidung. Aber warum suchte er dann den Kontakt zu mir, während eines Rennens?
    »Ist das
die Vorentscheidung?«, brüllte der Hallensprecher.
    Automatisch
wandten wir uns dem Geschehen auf der Bahn zu. In der vorletzten Runde hatten sich
die beiden Polinnen etwas abgesetzt. Ihre Schrittfrequenz war einfach höher als
die der anderen. Katinka und die Tschechin schienen das Tempo ebenfalls forciert
zu haben, doch der Abstand vergrößerte sich. Alle übrigen Läuferinnen spielten keine
Rolle mehr und wurden überrundet.
    »Da, schau
an«, kommentierte der Blonde seelenruhig.
    Ich biss
die Lippen zusammen. Plötzlich wollte ich, dass Katinka das Rennen gewänne. Dabei
war sie chancenlos, sie hatte es mir vorher erklärt. Die Konkurrenz bestand aus
pfeilschnellen Mittelstrecklerinnen, die ihr, der Marathonläuferin, im Endspurt
klar überlegen waren. Sicher, die Mädels aus der Region würden Katinkas Tempo nicht
lange mitgehen können, dazu war es zu hoch, die Krzysztyna und die Tatjana aber
hätten kein Problem damit. Mitlaufen, im Windschatten halten und am Ende den Turbo
zünden –

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