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Glut und Asche

Glut und Asche

Titel: Glut und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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und unwirklich klangen, um real zu sein.
    Andrej schloss die Augen, kämpfte mit unerwarteter Mühe die Panik nieder, die von ihm Besitz ergreifen wollte, und als er zum zweiten Mal aus dem Fenster sah, war alles wieder so, wie es sein sollte. Das zerbrochene Fenster, durch das er hinau s blickte, lag im zweiten Stockwerk eines baufälligen Gebäudes am Themseufer. Schmutziges, faulig riechendes Wasser, das ölig und träge mit unrhythmischem Klatschen gegen eine Ka i mauer schlug. Männer i n ebenso einfacher wie grober Kle i dung schleppten Säcke unbekannten Inhalts und einfache Kisten vo l ler Fisch, dessen Gestank er selbst hier oben noch wah r nahm. Außerdem argwöhnte er plötzlich, gerade eben etwas davon gegessen zu haben.
    »Ist alles In Ordnung?«, fragte Fred.
    Andrej fragte sich ganz ernsthaft, ob der Junge vielleicht seine Gedanken las, aber dann begriff er, dass er seit minde s tens einer Minute reglos hier am Fenster stand und hin au s starrte, und das vermutlich In angespannter, wenn nicht gar e r schrockener Ha l tung. Was um alles In der Welt geschah mi t Ihm?
    Betont langsam drehte er sich um und schüttelte den Kopf. »Ich war nur neugierig«, sagte er »Ist das hier euer... Zuhause?«
    Fred schien mit schräg gehaltenem Kopf über die Frage nachzudenken, vielleicht auch nur über die Betonung, die A n drej auf das letzte Wort gelegt hatte. Dann aber nickte er. »Bis uns I r gendjemand wegjagt, wenigstens«, antwortete er. »Ich weiß, es Ist nicht schön und bestimmt nicht so vornehm wie das, was du gewohnt bist, aber es gehört uns.«
    »So war das nicht gemeint«, sagte Andrej rasch. »Ich war nur... erschrocken.«
    »Erschrocken?«
    »Du bist noch ... sehr jung«, sagte Andrej vorsichtig. »Und die meisten deiner Freunde sind noch sehr viel jünger. Kinder sol l ten so nicht aufwachsen.«
    »Stimmt«, antwortete Fred. »Aber es gibt sonst nichts. Die Hälfte meiner Leute wäre verhungert, wenn wir uns nicht um sie gekümmert hätten. Und du?«
    »Ich habe ein Zuhause«, antwortete Andrej - was glatt gel o gen war.
    Das war ganz offensichtlich nicht die Antwort gewesen, die Fred hatte hören wollen. Er wurde zornig. In seinen Augen blitzte es auf, und Andrej hatte den befremdlichen Eindruck, dass er sich beherrschen musste, um sich nicht auf Ihn zu stü r zen. Ein absurder Impuls, denn Andrej war doppelt so groß und dreimal so schwer wie er Selbst wenn er nur ein normaler ster b licher Mensch gewesen wäre, hätte er vielleicht eine Sekunde gebraucht, um Ihn zu überwältigen - zwei, um Ihn zu töten. Aber der Junge zeigte keine Spur von Angst vor ihm.
    »Was hast du gestern Nacht bei uns gewollt?«, schnappte er.
    »Nichts«, antwortete Andrej. »Ich war nur...«
    »Blödsinn!«, fiel Ihm Fred ins Wort. »Du warst ganz zufällig da, und dann ist genauso zufällig diese seltsame Frau aufg e taucht, die kämpft wie ein Kerl und dich um ein Haar umg e bracht hätte?«
    »Ja«, antwortete Andrej. Beunruhigt stellte er fest, dass es tatsächlich erst die Worte des Jungen waren, die ihm klarmac h ten, dass nichts an alledem Zufall gewesen war. Anscheinend ließen ihn nicht nur seine unerwünschten übermenschlichen Sinne Im Stich, sondern auch sein gesunder Menschenverstand.
    »Sicher«, antwortete Fred böse. »Und wir alle glauben auch noch an den Weihnachtsmann.«
    Andrej wollte antworten (auch wenn er keine Ahnung hatte, was), aber in diesem Moment ... spürte er etwas. Jemand kam. Oder etwas.
    »Stimmt was nicht?«, fragte Fred.
    »Nein«, antwortete Andrej. »Ich meine: Ja. Es ist alles in Ordnung, keine Sorge.« Nichts war in Ordnung. Er lauschte in sich hinein und dann mit all seinen fantastischen Sinnen in die Welt hinaus. Plötzlich wusste er, wer sich ihnen näherte. Die s mal hatte er sich immerhin gut genug in der Gewalt, um sich seine Erleichterung nicht anmerken zu lassen.
    »Dann zieh dich an«, sagte Fred, offensichtlich unzufrieden mit dieser Antwort. »Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.«
    »Dringende Geschäfte, nehme ich an.«
    »Ganz genau«, erwiderte Fred. Er winkte ungeduldig, und Andrej bückte sich nach seinen Kleidern, hob sie auf und sah den Jungen auffordernd an, aber Fred hielt seinem Blick schweigend stand. Schließlich zuckte er mit den Achseln, löste den improvisierten Kilt von seinen Hüften und bückte sich nach seinen Kleidern.
    »Nicht schlecht«, sagte Fred anerkennend, während er seinen Körper ganz unverhohlen musterte.
    Hastig schlüpfte Andrej in

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