Glut und Asche
»Aber ich glaube auch nicht, dass das alles nur Zufall gewesen sein soll ... so wenig wie du, nebenbei b e merkt.«
Andrej verzichtete auf eine Antwort, die ihm ohnehin nur seine eigene Hilflosigkeit vor Augen geführt hätte, hob noch einmal die Schultern und verließ dann ohne ein weiteres Wort den Raum. Abu Dun folgte ihm, allerdings in gehörigem A b stand. Auf dem Weg nach oben hatte die Treppe so bedrohlich geknarrt, dass er es vorzog, sie auf dem Rückweg nur mit se i nem eigenen Gewicht zu belasten. Andrej war beinahe froh, allein zu sein, als er draußen vor der Tür stand und auf den N u bier wa r tete, auch wenn es nur wenige Sekunden waren. Abu Dun und er waren nun schon so lange zusammen, dass der eine aus dem Leben des anderen nicht mehr wegzudenken war. A n drej hatte es längst aufgegeben, die Jahre zu zählen, die sie jetzt schon gemeinsam durch die Welt zogen, die sich rings um sie herum immer schneller zu verändern begann und in der sie fü r einander nur zu oft die einzige Konstante gewesen waren. Zu sagen, dass Abu Dun sein Freund war, wäre der Wahrheit nicht gerecht geworden. Vielleicht musste man für eine Freundschaft, die über Jahrhunderte andauerte, auch einen neuen Begriff e r finden. Und doch ... war etwas anders geworden. Abu Dun hatte kein Wort des Zweifels oder gar der Klage hören lassen, seit sie aus jenem kalten, dunklen Land hinter dem Ende der Welt und der Zeiten zurückgekehrt waren, in dem ihm so viel genommen worden war Ganz im Gegenteil hatte er ihn mit all seiner Kraft und Klugheit unterstützt, wo er nur konnte, als Andrej seine Jagd auf einen leibhaftigen Gott begonnen hatte. Aber er hatte sehr wohl bemerkt, dass er es nur aus Pflichtgefühl und Freundschaft tat, nicht weil er seinen Racheschwur gutgeheißen hätte. Und manchmal fragte er sich, wie lange ihre Freundschaft dieser Belastung noch standhalten konnte und wie er reagieren würde, wenn Abu Dun ihn vor die Wahl stellte.
Abu Dun trat hinter ihm aus dem Haus, blinzelte in das u n erwartet helle Licht der Vormittagssonne und sah sich dann aufmerksam in alle Richtungen um. Und Andrej tat fast hastig dasselbe, bevor Abu Dun etwa auf die Idee kommen konnte, ihm zu aufmerksam ins Gesicht zu blicken, und darin womö g lich etwas las, worüber er nicht reden wollte.
Loki. Abu Dun hatte es nie ausgesprochen, aber Andrej wusste sehr genau, dass der Nubier nicht annähernd so übe r zeugt davon war wie er, dass Loki noch lebte.
Manchmal fragte er sich, ob Abu Dun ihn auf seiner ruhel o sen Suche nicht nur deshalb noch begleitete, weil er sonst nichts Besseres zu tun hatte.
Er hörte Abu Duns Schritte hinter sich, entschuldigte sich im Stillen für seinen hässlichen Verdacht und gestand sich ein, dass es ihm selber auch nicht viel anders erging. Abu Dun hatte keinen Beweis dafür, dass Loki tatsächlich tot war ... so wenig wie dafür, dass er noch lebte.
Andererseits brauchte er auch keinen Beweis. Er wusste es einfach.
»Irgendeine Idee?«
Andrej zuckte nur die Achseln und zwang sich, sich au f merksamer umzusehen. Am Morgen hatte er nur einen eher flüchtigen Blick aus dem Fenster geworfen, was er nun beda u erte. Manche der Männer, die noch immer ihren unterschiedl i chen Beschäftigungen nachgingen, kamen ihm vage bekannt vor. Mit langsamen Schritten legte er das kurze Stück zum Ufer zurück, das an dieser Stelle nicht aus einem gemauerten Kai bestand, sondern aus einer Reihe halb verfaulter geteerter Pfä h le, die sich kaum zwei Fuß weit aus dem schmutzigen Wasser erhoben. Der unangenehme Geruch ließ ihn unwillkürlich z u rückschrecken, und er musste nicht hinter sich blicken, um zu wi s sen, dass Abu Dun eine angewiderte Grimasse zog. Es war weiß Gott nicht die erste westliche Großstadt, die er zusammen mit Abu Dun besuchte, und seine Reaktion war stets dieselbe. Die Art, wie die Menschen mit ihrem - seiner Meinung nach kos t barsten - Gut umgingen, schien ihn eher zu verletzen als zornig zu machen - aber jemand, der in einem Land aufg e wachsen war, in dem Wasser kostbarer war als Gold, musste wohl so empfinden.
Er gab Abu Dun Zeit, sich zu beruhigen, drehte sich erst dann zu ihm um und stellte die Frage, die ihm auf der Zunge lag, dann doch nicht. Abu Dun sah genauso empört und g e kränkt aus, wie Andrej es angesichts des verpesteten Wassers erwartet hatte, aber er wirkte auch überrascht, fast schon ein bisschen erschrocken. Seine Hand lag auf der rechten Hüfte, dort, wo normalerweise der
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