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Glut und Asche

Glut und Asche

Titel: Glut und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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bevor das Schloss zuschnappte. Seine Hand tastete unter das Bett und fühlte nichts als morsches Holz und den Schmutz von Jahrzehnten.
    »Andrej?«, fragte Abu Dun beunruhigt.
    Andrej ignorierte ihn, ließ sich vollends zu Boden gleiten und sah ganz genau das, was ihm seine tastenden Finger bereits verraten hatten. Nichts. Die beiden einfachen Stricke, mit denen er die verzierte Lederscheide unter dem Bett festgebunden ha t te, waren noch da, säuberlich in der Mitte durchschnitten, aber Gunjir war verschwunden.

Kapitel 4
     
    A uch bei Tageslicht und mit anderen Augen betrachtet bot das heruntergekommene Haus keinen angenehmeren Anblick. Jetzt kam ihm sogar alles noch ein bisschen ärmlicher und d e primierender vor als am Morgen, als er genau in diesem schmutzigen Zimmer wach geworden war. Und stiller. Still wie in dem sprichwörtlichen Grab.
    »Du hast nicht wirklich geglaubt, dass sie noch hier sind, oder?«
    Andrej war versucht, die Worte des Nubiers ebenso zu ign o rieren wie den unüberhörbar beißenden Spott darin. Einen Spott, mit dem er auf dem ganzen Weg hier heraus nicht gegeizt hatte. Andrej war diesen Ton von Abu Dun zwar gewohnt, aber al l mählich begann er sich darüber zu ärgern.
    Zumal er vollkommen recht hatte. Das unersetzliche Wiki n gerschwert unter dem Bett zu verstecken, war ... nun ja, vie l leicht nicht besonders klug gewesen. Vorsichtig ausgedrückt.
    »Nein«, antwortete er mit einiger Verspätung. »Aber vie l leicht finden wir ja irgendetwas, das uns weiterhilft.«
    »Dein Schwert?«, fragte Abu Dun belustigt.
    Das war unangebracht. Andrej sprach es nicht laut aus, machte seinem Unmut aber mit einem dafür umso deutlicher verärge r tem Blick Luft und schüttelte knapp den Kopf. »Etwas, das uns auf ihre Spur bringt.«
    »Dann suchen wir nach Schmutz und Unrat?«, fragte Abu Dun.
    Diesmal fiel es Andrej schwer, wenigstens äußerlich ruhig zu bleiben. »Sie müssen etwas zurückgelassen haben«, beharrte er »Irgendetwas, das uns hilft, sie zu finden. Es sind fast ein Du t zend Kinder Sie müssen Spuren hinterlassen haben!«
    Abu Dun sah sich demonstrativ in dem nur schwach erhellten Raum um - demselben, in dem Andrej erwacht war - und zuckte dann mit den breiten Schultern. »Wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, Hexenmeister«, sagte er, »dann würde ich glatt behaupten, sie waren nie hier.«
    Damit sprach er genau das aus, was Andrej sich die ganze Zeit über nicht einzugestehen gewagt hatte. Sie hatten das Haus vom Keller bis zum Dachgeschoss durchsucht, ohne auch nur die kleinste Spur von Frederics Kinderbande zu finden. Das Haus quoll über vor Schmutz, Trümmern und Unrat, aber es erging ihm genauso wie dem nubischen Riesen: Hätte er es nicht mit eigenen Augen gesehen, er hätte nicht geglaubt, dass in diesem Haus seit Monaten auch nur ein einziger lebender Mensch gewesen war Da waren keine Essensreste, keine we g geworfenen Kleiderfetzen, keine improvisierten Schlaf - oder Kochstellen. Aber ihm standen andere Sinne zur Verfügung als gewöhnl i chen Menschen. Seine scharfen Instinkte hätten ihn mit Sicherheit wissen lassen, wenn sich hier in den letzten W o chen so viele Menschen für mehr als nur wenige Stunden au f gehalten hätten. Und hier war niemand gewesen, so einfach war das. Und so unmö g lich.
    »Immerhin hat er uns ja selbst gesagt, dass wir sie hier nicht mehr antreffen werden«, sagte er lahm.
    »Sie waren niemals hier, Andrej«, beharrte Abu Dun. »Man könnte meinen, sie hätten dich nur hierher gebracht, damit du hier aufwachst.«
    »Und?«
    »Damit ich dich hier finde?«
    »Und wozu sollte das gut sein?«, fragte Andrej.
    »Die Antwort auf diese zweifellos berechtigte Frage zu fi n den, überlasse ich dir, o weiser Hexenmeister«, antwortete Abu Dun. »Ich bin nur ein dummer Mohr und allenfalls der Mann fürs Grobe.«
    Andrej war nicht nach Abu Duns abgestandenen Scherzen. Er verzog nicht einmal der Höflichkeit halber die Lippen. »Das würde bedeuten, dass sie dich absichtlich hierher gelockt haben, um in Ruhe das Schwert zu stehlen«, sagte er. »Aber es war kein Kind, das Miss Torrent den Zettel mit der Adresse gegeben hat, sondern dieselbe Frau, gegen die ich vergangene Nacht g e kämpft habe. Welchen Sinn sollte das ergeben?«
    Diesmal dachte Abu Dun nicht nur über seine Frage nach, sondern beantwortete sie auch ganz ernsthaft -wenn auch mit genau den Worten, die Andrej befürchtet hatte zu hören. »Das weiß ich nicht«, sagte er.

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