Glut und Asche
z u rück und war sicher, dass die Kriegerin kein einziges Wort g e sagt, sondern ihm nur die Münzen gegeben hatte. Meruhe b e dankte sich mit einem artigen Kopfnicken bei dem Mann, der sich wortlos u m drehte und davon schlurfte. Eine ihrer beiden Begleiterinnen beugte sich vor, um ihr einzuschenken. Sie nahm den Becher in die Hand, trank jedoch nicht.
»Ich muss mich bei dir entschuldigen, Andrej«, sagte sie. »Was ich gestern Abend getan habe, war dumm.«
»Mich am Leben zu lassen?«
Abu Dun sah ihn ein wenig verstört an, aber Meruhe fuhr so ungerührt fort, als hätte Andrej nichts gesagt. »Du bist kein Mann, der sich zu etwas zwingen lässt«, sagte sie. »Wenn man versucht, dich mit Gewalt zu etwas zu bewegen, dann erreicht man damit nur das Gegenteil. Wer, wenn nicht ich, sollte das wissen?«
»Und warum hast du es dann versucht?«
»Ich bin eine Frau«, gab die Nubierin lächelnd zurück. »Wir versuchen immer unseren Willen durchzusetzen, weißt du das denn nicht?« Sie nippte an ihrem Wein, aber nur einige wenige Tropfen, gerade genug, um ihre Lippen zu benetzen. Ihr Blick ließ Andrej dabei nicht für einen Sekundenbruchteil los, und Andrej seinerseits betrachtete ihr Gesicht unverhohlen und ebenso neugierig wie bewundernd. Er wusste nicht mehr, wie lange es her war, dass sie sich gesehen hatten. Ein Jahrhundert, vielleicht mehr, vielleicht weniger, und er hätte sich gerne ei n geredet, dass sie sich in all der Zeit nicht verändert hatte. Aber das stimmte nicht. Die Zeit vermochte ihr nichts anzuhaben, so wenig wie Abu Dun oder ihm. Auch alterte sie nicht auf die Art, auf die all die Menschen rings um sie herum älter wurden. Aber sie war älter geworden - auf eine Weise, die er nicht wir k lich nachvollziehen konnte und vielleicht auch nicht wollte. Sie war noch viel mehr Frau, als sie es jemals gewesen war. Und sie war noch schöner geworden.
Sein Blick blieb an ihrem linken Auge hängen und etwas in i h rem ruhigen Lächeln änderte sich. Stolz?
»Es ist gut geworden, nicht wahr?«, fragte sie, während sie die Hand hob und mit den Fingerspitzen den fein geschwung e nen Knochen unter dem Auge berührte. »Man sieht den Unte r schied kaum noch, finde ich.«
»Du musst einen großen Künstler beauftragt haben«, sagte Andrej anerkennend, während sich ein Teil von ihm entgeistert fragte, was er da eigentlich redete. Nichts konnte in diesem Moment unwichtiger sein!
»Nicht einmal«, antwortete Meruhe, nippte noch einmal an ihrem Wein und stellte den Becher dann mit einer fast zerem o niell anmutenden Bewegung auf den Tisch zurück. Aber wenn er es genau bedachte, dann hatte alles, was sie sagte und tat, etwas von einem Tanz, selbst der Anblick ihres im Schlaf en t spannten Gesichtes. »Ich weiß, ich war immer die, die am la u testen d a gegen gewettert hat«, fuhr sie im Plauderton und mit einem leicht amüsierten Lächeln fort, »aber dass die Welt sich immer schneller verändert, hat manchmal auch seine Vorteile. Die Menschen vollbringen heute Dinge, die sogar mir vor e i nem Jahrhundert noch wie Zauberei vorgekommen wären.«
»Und jetzt hast du deinen Fehler eingesehen und bist g e kommen, um ihn wieder gutzumachen?« Andrej löste seinen Blick mit einiger Mühe von Meruhes Gesicht und ließ ihn über den Messergriff tasten, der aus dem Gürtel der Kriegerin zu ihrer Linken ragte, dann über das Messer der anderen. Eine dieser beiden Klingen hatte er gestern Abend an der Kehle g e spürt, aber nicht einmal jetzt konnte er einen Unterschied e r kennen.
»Nein, nicht so.« Meruhe hatte seinen Blick bemerkt und o f fenbar auch richtig gedeutet, aber sie schien nicht verletzt zu sein: Der Spott in ihrem Lächeln wurde nur deutlichen »Es war ein Fehlen Ich bitte dich um Verzeihung.«
»Und sonst nichts?« Was um alles in der Welt tat er hier e i gentlich? Er hatte diesen Moment so lange herbeigesehnt, ihn so oft in seiner Vorstellung durchlebt, ihn sich in so vielen, u n terschiedlichen Variationen ausgemalt - und nun erging er sich in Vorwürfen?
»Wie gesagt: Ich bin eine Frau«, antwortete Meruhe. »Wir tun manchmal Dinge, von denen wir im Grunde ganz genau wissen, dass sie sinnlos sind. Wie jetzt zum Beispiel. Ich appe l liere an deine Vernunft, Andrej.«
»Und was sollte mir diese Vernunft sagen?«
Meruhe lächelte unerschütterlich weiten aber der Blick ihres einen sehenden Auges wurde ernster. »Ihr solltet London ve r lassen.«
»Warum?«, fragte Andrej, hob aber sofort die
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