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Glut und Asche

Glut und Asche

Titel: Glut und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Stöhnen eines Paares, das sich drei oder vier Häuser entfernt li ebte, Irgendwo das Schreien einer Katze und sogar das Tappen und Fiepen der bedauernswerten Ratte, die sie verfolgte und die von einem Atemzug auf den nächsten vom Jäger zur Beute geworden war. Mit seinen anderen, viel schärferen Sinnen spürte er noch u n endlich viel mehr: Der Vampyr In Ihm fühlte das Schlagen all der ungezählten lebendigen Herzen ringsum, das pulsierende Leben, von dem diese Stadt fast überquoll, die Menschen und Tiere, Ihre Leben, Ihre Lust und Ihren Schmerz, Ihr Leid und Ihre Bedeutungslosigkeit und noch tausend andere Dinge, für die es In der Sprache der Menschen keine Worte gab, weil sie auch nicht aus der Welt der Menschen stammten -jedenfalls nicht aus dem für sie sichtbaren Teil der Welt.
    Was er nicht spürte, war Meruhe.
    Sie und Ihre beiden Begleiterinnen konnten sich noch nicht allzu weit entfernt haben, aber es war, als wären sie niemals da gewesen. Vielleicht waren sie es ja auch nicht.
    Unsinn. Andrej verscheuchte den Gedanken. Er wusste sehr wohl, wie groß Meruhes Fähigkeit war, die Sinne der Menschen zu verwirren. Doch zum einen war er kein normaler Mensch, und zum anderen wusste er einfach, dass sie tatsächlich da g e wesen war Genauso, wie er Im Grunde schon In der zurückli e genden Nacht gewusst hatte, wem er gegenübergestanden hatte. Er hatte es nicht wissen wollen, und wie bei allem, was er wir k lich wollte, war er auch sehr gut darin, sich selbst zu belügen.
    »Dort.«
    Abu Dun deutete nach vorne und näher zum Themseufer hin.
    »Was?« Andrej sah Ihn verständnislos an, dann begriff er, was Abu Dun meinte, und tastete mit seinen vampyri schen Sinnen In die entsprechende Richtung, spürte aber Immer noch nichts.
    »Sag mir nicht, dass du es nicht riechst!« Abu Dun klang empört. »Hat sie dir so sehr den Kopf verdreht?«
    Andrej machte sich nicht die Mühe einer Erwiderung, sog noch einmal prüfend die Luft ein, und dann sprang Ihn der Blutgeruch an wie ein Raubtier, das bisher geduldig in den Schatten gelauert und auf seine Chance gewa r tet hatte. Er ging so schnell los, dass Abu Dun die Bewegung erst nach einem Moment registrierte und fast rennen musste, um zu ihm aufz u schließen.
    Der Tote lag nur ein kleines Stück entfernt auf der Kaimauer, fast noch in Sichtweite des Star Irin und dennoch vollkommen unsichtbar, denn er lag im schwarzen Schatten der gewaltigen London Bridge, die sich viele Meter über ihren Köpfen erhob. Der Schwere seiner Verletzungen nach zu urteilen und der u n natürlich verrenkten Haltung seiner Glieder musste er von der Brücke gefallen oder auch gesprungen sein.
    Sollte Letzteres der Fall gewesen sein, dachte Andrej, dann musste es sich wohl um einen außergewöhnlich untalentierten Selbstmörder handeln, denn er hatte den Fluss verfehlt und war auf der schmalen Uferbefestigung aus behauenem Naturstein aufgeprallt.
    Vielleicht hatte er auch nur auf Nummer sicher gehen wo l len.
    »Das ist Jack.« Abu Dun war wieder an ihm vorbeigeeilt und hatte den Toten mit dem Fuß auf den Rücken gedreht. Vom Gesicht des Mannes war nicht mehr viel übrig, aber Andrej e r kannte ihn trotzdem, wenn auch mit Mühe.
    »Er hatte es entweder sehr eilig und ist wirklich unglücklich gestolpert - oder jemand wollte nicht, dass er mit uns redet«, sagte Abu Dun. »Sein unhöflicher Freund von heute Morgen?«
    Andrej dachte nach und antwortete dann mit einem Kop f schütteln. Jack hatte Angst gehabt, dass der andere ihm alle Knochen brach, wenn er herausfand, dass er mit Abu Dun und ihm g e sprochen hatte, und Andrej würde dem Mann eine solche Tat auch durchaus zutrauen.
    Aber nicht so gründlich und nicht auf diese Weise.
    »Nein«, sagte er. »Aber ich glaube, wir müssen gleich mo r gen früh noch einmal mit diesem Pauly reden.«
    Und diesmal würde er ihre Fragen beantworten.

Kapitel 6
     
    E s hatte lange gedauert, bis er an diesem Abend Schlaf g e funden hatte, und es war kein erfrischender Schlaf gewesen. Er erwachte am nächsten Morgen so erschöpft und müde, als hä t ten ihn die Stunden, die er sich ruhelos im Bett hin und her g e wälzt hatte, zusätzliche Kraft gekostet, statt sie ihm zu spenden. In den kurzen Momenten, in denen er tatsächlich geschlafen hatte, hatten ihn Träume geplagt, manche davon wirr, nicht mehr als bloße Fieberfantasien und Bruchstücke aus grellen, ebenso sinnlosen wie erschreckenden Bildern, andere so klar, dass er geglaubt hatte, jene

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