Glut und Asche
Anspannung des N u biers war, so war es der eindringliche Blick, mit dem er ihn maß, und die Tatsache, dass er sich die Gelegenheit zu einer weiteren bösen Bemerkung entgehen ließ. Er deutete nur auf die Tür, durch die sie hereingekommen waren, ging kommentarlos voraus und wartete erst am Fuß der Treppe wieder auf ihn.
»Wäre es nicht an der Zeit, mir ein bisschen über diesen Jungen zu erzählen?«, erkundigte er sich ernst.
»Ja«, sagte Andrej. »Wenn ich selbst mehr über ihn wüsste, dann würde ich das auch gerne tun.«
Abu Dun wirkte nicht überzeugt, aber nach einem langen, fast bohrenden Blick in Andrejs Augen schien er doch zu ve r stehen, dass dieser die Wahrheit sagte. Andrej war zutiefst ve r wirrt. Er glaubte nicht an einen Zufall. Er lebte schon zu lange und hatte schon zu viel gesehen, um nicht zu wissen, dass es so etwas wie Zufall nicht gab. Oft kamen einem die Dinge sinnlos und wil l kürlich vor, doch der zweite oder dritte Blick belehrte einen eines Besseren.
Er bedeutete Abu Dun stumm, weiterzugehen. Der Nubier wirkte enttäuscht, beließ es aber bei einem missmutigen Ac h selzucken und verwandelte sich wieder in einen Schatten, der vollkommen lautlos voraushuschte.
Sie verließen das Gebäude auf dem gleichen Weg, auf dem sie es betreten hatten, und nicht minder vorsichtig. Andrej spürte die Präsenz jener anderen Wesen ihrer Art jetzt immer deutl i cher - nicht, dass sie sich ihnen genähert hätten, sondern weil ihre Erregung wuchs. Irgendetwas wirklich Großes bahnte sich an. Meruhe hatte recht gehabt.
Und er selbst verstand immer weniger, was hier eigentlich geschah.
Bevor sie ins Freie traten, blieben sie noch einmal für zwei oder drei Minuten reglos und mit angehaltenem Atem stehen und lauschten. Nachdem Meruhe auf so rüde Art gegangen war, rechnete Andrej nicht ernsthaft damit, die einsame Kriegerin auf ihrer Patrouille noch einmal zu sehen, aber in einem stim m te er Abu Dun zu: Es wäre mehr als leichtsinnig gewesen, ihr Glück unnötig auf die Probe zu stellen. Für einen Tag hatten sie vermutlich schon mehr davon gehabt, als ihnen zustand.
Niemand kam. Abu Dun ging abermals voraus und duckte sich hinter denselben Wagen, der ihnen schon einmal Deckung geboten hatte, und obwohl er und Andrej es gespürt hätten, wenn jemand sie entdeckt und seine Aufmerksamkeit auf sie gerichtet hätte, bewegten sie sich auf dieselbe vorsichtige Art, von D e ckung zu Deckung springend, den Weg zurück, auf dem sie vorhin gekommen waren. Wieder in Sichtweite des Hauses, in dem sie den bewusstlosen Pauly zurückgelassen hatten, de u tete Abu Dun stumm nach rechts, auf eine schmale Gasse, von der er vermutete, sie führe wieder zur Hauptstraße zurück, doch Andrej schüttelte nur stumm den Kopf, schloss die Augen und tastete mit anderen als nur menschlichen Sinnen in die Welt hinaus. Er vermutete, dass es zwecklos war Meruhe und die anderen ihrer Art hatten ihnen mehr als einmal demonstriert, wie vollkommen sie sich zu tarnen vermochten. Dennoch klammerte er sich an die winzige Hoffnung, ihre Gegenwart zu spüren, und wenn nicht ihre, dann die ihrer beiden Begleiteri n nen, deren wahres Sein ihm nach wie vor ein Rätsel blieb, von denen er zugleich aber auch sicher war, dass sie keine normalen Menschen waren. Auch keine Vampyre, sondern ... etwas a n deres.
Er spürte weder sie noch ihre rothaarige Herrin, doch unmi t telbar vor ihnen war etwas. Ein anderer Vampyr u nd er war auf der Jagd.
Abu Dun musste es zur gleichen Zeit wahrgenommen haben wie er, denn er spannte sich an, und seine Hand schloss sich fester um die improvisierte Keule. Er warf Andrej einen fr a genden Blick zu und deutete zum zweiten Mal auf den schm a len Durchlass zwischen den Häusern, und diesmal nickte A n drej. Abu Dun huschte lautlos davon und verschwand in den Schatten, Andrej zählte in Gedanken langsam bis zwanzig, b e vor er sich aufrichtete und mit zwei schnellen Schritten wieder im Haus war. Das Gefühl, das ihn wissen ließ, dass Abu Dun in der Nähe war, verflüchtigte sich fast und wurde dann wieder stärker, als der Nubier das Gebäude offensichtlich umkreist hatte und von der Rückseite her betrat. Andrej war beinahe ein bisschen überrascht, trotz seiner alles überlagernden Blutgier die Präsenz eines anderen Vampyrs nach wie vor so deutlich zu spüren. Doch diese Fähigkeit hatte nicht nur er. Der andere hä t te ihn und Abu Dun ebenfalls entdecken müssen.
Vielleicht lauerte er nun auf die
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