Glutroter Mond
Aufmerksamkeit. Mit einem flauen Gefühl im Magen klettere ich aus dem Container heraus und gehe langsam zurück zu der Stelle, an der sich mein Schicksal endgültig entschieden zu haben scheint.
Mit jedem Schritt, den ich mich nähere, klopft mein Herz lauter. Am liebsten hätte ich die Augen zugemacht, doch ich zwinge mich, in die Gesichter der am Boden liegenden Menschen zu sehen. Drei Männer in schwarzen Anzügen. Sie liegen dicht nebeneinander. Zwei auf dem Bauch, einer auf dem Rücken. Die Augen sind aufgerissen und starren leer in eine andere Welt. Die Beine stehen in einem unnatürlichen Winkel vom Körper ab. Ich huste und würge, aber es ist nichts drin in meinem Magen.
Der linke Ärmel einer der auf dem Bauch liegenden Männer ist ein Stück nach oben gerutscht. Ich sehe dasselbe schwarze Liniengeflecht darauf, wie auch bei allen anderen Obersten und auch bei Cade und den restlichen Acrai. Ich kann mir keinen Reim darauf machen.
Acrai
. Cade hat sich und seine Sippe selbst so genannt, aber ich kann mit dem Wort überhaupt nichts anfangen. Es sprengt meine Vorstellungskraft, dass es neben den
Obersten und den Menschen der Stadt noch andere geben soll, die die Umgebung bevölkern. Es ist ohnehin schwer zu akzeptieren, dass meine Welt viel größer ist als in meinen Büchern beschrieben wird. Auch das war schon eine Lüge. Alles, was die Obersten uns erzählt haben, war vermutlich eine Lüge.
Ich wende mich von den drei Leichen ab. Zwei von den ehemals fünf Angreifern scheinen überlebt zu haben. Von ihnen fehlt jede Spur. Aber wo ist Cade?
Nur widerwillig befehle ich meinen zitternden Beinen, sich zu bewegen. Sein schwarzes Auto steht noch immer dort, wo er es abgestellt hat, als wäre nichts gewesen. Kein Kratzer ist daran zu sehen. Langsam gehe ich um den Wagen herum, ein gepresstes Stöhnen bereitet mich darauf vor, was ich gleich zu sehen bekommen werde. Mich durchflutet zugleich Erleichterung und Unbehagen.
Ich bleibe wie angewurzelt stehen, als ich Cade an den Reifen gelehnt dort sitzen sehe. Seine Beine hat er an den Körper gezogen, sein Gesicht ist zu einer schmerzverzerrten Grimasse verzogen. Den linken Ärmel seines Hemdes ist abgerissen, die rechte Hand presst er auf die Wunde. Ich sehe auf sein schwarzes Mal, das sich vom Handgelenk bis fast zur Schulter hinaufzieht. Zum ersten Mal sehe ich es komplett entblößt. Ein wunderschönes Muster, von dem ich leider bis heute nicht weiß, was es zu bedeuten hat.
Cade wendet mir den Kopf zu, einen Augenblick lang entspannen sich seine Gesichtszüge. »Du bist ja noch da«, presst er hervor. Dann zuckt sein Blick hin und her, als erwartete er, noch jemand anderen zu sehen. »Wo sind die V23er? Noch hier?«
Ich schüttele stumm den Kopf.
»Bist du nicht mit ihnen gegangen?«
»Nein.« Diesmal ringe ich mir eine Antwort ab, auch wenn mein Hals ganz trocken und meine Stimme rau ist.
»Weshalb bist du noch da? Dein Freund ist bereitwillig mit ihnen mitgegangen. Du hättest dich retten lassen können.«
Ich kann es ihm nicht sagen, deshalb schweige ich. Stattdessen mache ich einen Schritt nach vorne und lasse mich vor Cade auf die Knie sinken. Seine Pistole liegt neben ihm, aber er macht keine Anstalten, danach zu greifen.
Cade winselt, als er mit den Fingern in der Wunde herumstochert. Mir geht es durch Mark und Bein. Ich sehe weg.
»Nur ein Streifschuss. Die Kugel steckt nicht mehr«, kommentiert er seine Tat. »Die Wunde schließt sich bereits wieder.«
Langsam drehe ich wieder den Kopf und wage einen Blick auf seine blutende Wunde. Inzwischen hat Cade die rot verschmierte rechte Hand heruntergenommen. Ich traue meinen Augen kaum, denn tatsächlich kann ich beobachten, wie sich zwischen dem zwei Zoll breiten Riss neue Haut bildet. Schorf überzieht die Wundränder bereits.
»Das ist nicht möglich«, flüstere ich. Inzwischen ist mein Gesicht nahe vor seinem Arm. Ich kann seine flachen Atemzüge hören.
Cade wirft den Kopf zurück, bis er gegen den Radkasten stößt. Er ist sehr blass, eine Schweißperle rinnt seine Schläfe hinab und verliert sich hinter seinem Ohr.
»Bist du sonst noch verletzt?«
Er öffnet die Augen einen Spaltbreit und stößt ein gepresstes Schnauben aus. »Weshalb interessiert es dich?«
Ja, weshalb denn eigentlich? Ich fühle mich befangen, auf eine unangenehme Weise ertappt. Mache ich mich gerade lächerlich, weil ich meinen Entführer nach dessen Befinden frage? Aber es erscheint mir auch unmöglich, mich zu
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