Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glutroter Mond

Glutroter Mond

Titel: Glutroter Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Narcia Kensing
Vom Netzwerk:
verschwunden, ebenso wie Neal. Vielleicht hat er ihn bereits weggeführt.
    Ich renne hinter die Gebäuderuine in eine Ansammlung verkrüppelter und spärlich belaubter Bäume hinein. Es geht bergauf. Wieder drehe ich mich kurz um, aber mir folgt niemand. So wichtig bin ich ihnen anscheinend nicht. Es bestätigt nur meine Vermutung, dass Neal und ich ihnen egal gewesen sind.
    Ich klettere einen der Bäume hinauf. Daneben steht ein nahezu unbeschädigtes einstöckiges Gebäude mit flachem Dach, die Fensterscheiben sind zerstört, die Außenwände mit Farbe beschmiert. Ein verblasstes Schild hängt an der Hauswand.
Charlys Autowerkstatt
.
    Ich schwinge mich vom Ast des Baumes auf das Dach. Ich bin froh, dass ich so sportlich bin, denn es bereitet mir kaum Schwierigkeiten, den einen Yard Distanz zu überwinden. Ich lege mich flach auf den Bauch und drücke meine Wange gegen den von der Sonne aufgewärmten Beton. Endlose Sekunden lang mache ich gar nichts. Ich presse meine Zähne so fest aufeinander, dass sie knirschen. Meine Augen kneife ich zu. Ich wünsche mir so sehr, aus diesem Albtraum zu erwachen und in meinem Bett in der Kommune zu erwachen. Weshalb bin ich nicht zu den Obersten gegangen? Etwas in mir sträubt sich dagegen, mich in mein unumgängliches Schicksal als einer von ihnen zu fügen. Sie hätten mich rekrutiert, ob ich gewollt hätte oder nicht. Der Irrtum wäre irgendwann aufgeflogen, spätestens dann, wenn sie herausgefunden hätten, dass Suzies Fingerabdruck nicht mit dem auf der Identitätskarte übereinstimmt. Was einst mein größter Wunsch gewesen ist, kommt mir nun vor wie Irrsinn. Die Obersten sind gefühlskalte Egoisten. Hätte ich so werden wollen wie sie? Neal hatte es von Anfang an erkannt, und dennoch ist er jetzt derjenige, der mit ihnen gegangen ist. Welch Ironie!
    Als wieder kurz hintereinander zwei Schüsse ertönen, öffne ich die Augen und ziehe mich langsam zum Rand des Daches, um darüber hinwegsehen zu können. Ich bin ein ganzes Stück gerannt, deshalb kann ich nicht genau erkennen, was sich dort hinten abspielt. Ich sehe nur schemenhaft die schlaffen Körper, die vor dem Auto auf dem Boden liegen und sich nicht mehr rühren. Generell scheint sich nichts mehr zu bewegen. Nach den letzten Schüssen hat sich eine gespenstische Stille über die Szene gelegt. Ich höre den Wind in den Ästen neben mir pfeifen, sonst nichts. Ist einer von den Toten Cade? Unmöglich, das zu sagen, denn sie waren alle in schwarz gekleidet. Weshalb versetzt mir der Gedanke, es könnte Cade getroffen haben, einen Schreck? Er war genauso kaltblütig wie die anderen. Er hat mich entführt.
    Plötzlich schüttelt mich Angst. Was, wenn ich jetzt ganz allein bin? Ich finde nie zurück in die Stadt, es ist viel zu weit! Ich weiß nicht einmal, ob woanders noch Menschen leben. Ich kenne diese Welt nicht. Sie ist viel größer, als ich je zu träumen gewagt hätte. Wohin soll ich gehen?
    Dann wird meine Angst zur Gewissheit, als ich in der Ferne ein dunkles Auto auf die breite Hauptstraße einbiegen und wegfahren sehe. Es wirbelt Staub auf. Es ist nicht Cades Wagen, also hat mindestens einer der Obersten überlebt. Und Neal ist bei ihnen! Weshalb hat er ihnen nicht gesagt, dass sie nach mir suchen sollen? Oder hat er das vielleicht, aber die Obersten haben nicht auf ihn gehört? Haben sie ihn gegen seinen Willen mitgenommen? Werden sie zurückkehren? Die Verwirrung, die sich in mir ausbreitet, lähmt jeden klaren Gedanken. Sie haben nicht einmal versucht, mich zu finden. Bin ich ihnen tatsächlich so egal, nur eine von vielen?
    Mein Herz pocht, meine Hände zittern. Mir ist übel, obwohl sich in meinem Magen nichts befindet, das ich hätte ausspucken können. Langsam richte ich mich auf und lasse die Beine über den Rand des Daches hängen. Ich kann nicht ewig hier liegen bleiben. Aber wohin ich gehen soll, weiß ich auch nicht. Ich werde sterben! Verhungern und verdursten. Verdammt, weshalb bin ich weggelaufen? Ich habe den Gedanken nicht ertragen können, mit den Obersten mitzugehen. Aber war es das wert?
    Ich beschließe, erst einmal vom Dach zu steigen und zurück zum Schauplatz des Kampfes zu gehen, auch wenn sich alles in mir dagegen sträubt. An einer Wand der Werkstatt steht ein Container mit Schrottabfällen, nur etwa einen Yard unterhalb der Dachkante. Ich springe hinunter und lande unsanft zwischen den rostigen Metallteilen, an denen ich mir den Unterarm aufschürfe. Doch ich widme dem Schmerz nur kurze

Weitere Kostenlose Bücher