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Glutroter Mond

Glutroter Mond

Titel: Glutroter Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Narcia Kensing
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mir einen Schauder über den Rücken. Er klingt so ruhig und verletzlich, so warm. Das kenne ich von ihm nicht. Sonst ist sein Tonfall immer kalt und emotionslos, voll Häme und Gram.
    »Was ist wie möglich?« Meine Güte, klinge ich schrecklich. Meine Stimme ist dünn und leise.
    »Du hast mir das Leben gerettet. Ich dachte, du könntest nicht als Spenderin dienen?!«
    »Habe ich das?« Erst jetzt wird mir bewusst, was gerade mit mir geschehen ist. So fühlt es sich an?
    Cades Stirn legt sich in Falten. »Aber du lebst noch. Weshalb? Das ist die zweite große Frage. Herrgott, ich kapiere das alles nicht.« Er fährt sich mit der Hand durch die strubbeligen schwarzen Haare. Dann wuchtet er sich auf die Beine. Er lehnt sich gegen das Auto, aber immerhin kann er schon wieder stehen. Ich bin mir nicht sicher, ob meine Beine mich tragen, deshalb bleibe ich noch sitzen.
    Er packt mich am Kragen meines Anzuges und zieht mich unerbittlich in die Senkrechte. Er muss mich stützen und legt einen Arm um meine Taille.
    »Ich kann nicht von dir nehmen, aber anscheinend kannst du mir freiwillig
geben
. Absurd!«
    Er zieht den Autoschlüssel aus seiner Hosentasche und schließt die hintere Tür auf. Behutsamer, als ich es ihm zugetraut hätte, setzt er mich auf die Rückbank. Dann bückt er sich nach seiner Pistole und steckt sie sich zurück in den Gürtel. Mir schwirrt der Kopf. Cade wirkt, als hätte es die letzte halbe Stunde nie gegeben. Ehe ich eingehend darüber nachdenken kann, kippe ich zur Seite auf den Sitz. Mir wird schwarz vor Augen.

Kapitel zwölf
    Holly  

    Die ersten Sekunden nach dem Erwachen sind immer die schönsten. Man könnte jeder Mensch der Welt sein,
überall, zu jeder Zeit. Die wohlige warme Decke des Schlafs hüllt die Erinnerungen ein und zieht sich nur langsam zurück. Leider kann man nicht vermeiden, dass der Verstand die Decke irgendwann gänzlich zurückschlägt.
    Ich liege auf einem weichen Untergrund, aber meine Beine sind unbequem verdreht. Während mein Oberkörper auf dem Rücken liegt, bettet sich mein Unterkörper auf dem rechten Beckenknochen. Mein linker Arm hängt herab. Wo bin ich? Direkt über mir eine beigefarbene Decke, an die ich starre.
    Ächzend wuchte ich mich auf. Mit einem Mal bin ich wach. Die Erinnerung holt mich ein und reißt mir beinahe erneut den Boden unter den Füßen weg. Ich liege in Cades Auto. Ich ziehe die Beine an und setze mich aufrecht hin. Ich befinde mich noch immer auf dem Rücksitz, aber die Umgebung hat sich verändert. Ich sehe aus dem Fenster. Wir parken irgendwo, aber es ist nicht der Ort, an dem der Schusswechsel stattgefunden hat. Ich sehe eine Straße, gegenüber stehen Häuser dicht an dicht. Sie sind nicht so hoch wie die meiner Heimat und weisen nicht mehr als zwei Stockwerke auf. Ich realisiere, dass der Wagen auf einem Bürgersteig steht, aber ich sehe keine Menschen. Die Häuser scheinen leer. In manchen klaffen riesige Löcher in der Fassade, bei einem fehlt sogar das komplette Dach. Es ist eine tote Gegend. Wie in den Arealen meiner Stadt, die keine Bezirksnummer haben. Dort wohnt auch niemand. Aber dies ist nicht meine Stadt. Ich kenne dort jedes Haus, und diese sind mir alle fremd.
    Cade sitzt nicht auf dem Fahrersitz, ich bin allein. Meine Hand schnellt zur Türverriegelung. Hat er mich wieder eingeschlossen? Fast erschrecke ich mich, weil die Tür sich öffnen lässt. Das hatte ich nicht erwartet. Vorsichtig lasse ich mich vom Sitz gleiten und steige aus. Meine Beine sind noch schwach, aber ich stehe fester als erwartet. Mein Kopf fühlt sich seltsam leer an, so befreit, als hätte mir jemand meine Angst genommen.
    Ich fahre zusammen, als ich Cade wieder am Vorderreifen lehnen sehe, die Beine angezogen. Im ersten Moment denke ich, er wäre wieder zusammengebrochen, doch er wendet mir den Kopf zu und lächelt. Ich habe ihn nie zuvor lächeln sehen, zumindest nicht so. Früher war es eher ein hämisches Grinsen, wenn sich seine Mundwinkel verzogen haben. Ich bin verwirrt.
    »Du bist wach.«
    In Ermangelung einer Antwort nicke ich nur.
    »Wir haben uns ganz schön in die Scheiße geritten. Korrigiere:
Ich
habe uns ganz schön in die Scheiße geritten, um genauer zu sein.«
    Ich lasse mich neben ihn auf den Boden sinken und setze mich auf die Bordsteinkante. Es ist seltsam, dass ich keine Angst mehr spüre. Es ist, als hätte Cade sie aus mir herausgesaugt.
    »Mach dir nicht zu viele Hoffnungen, das wird zurückkommen«, sagt er, als hätte

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