Glutroter Mond
aber das ist es nicht. Was ist los mit mir? Cade hat mich töten wollen, die Obersten waren unsere Rettung in letzter Sekunde. Oder habe ich instinktiv gespürt, dass Cade es nicht getan hätte?
Wieder greift er mich von hinten, diesmal mit beiden Armen, da Neal nun frei ist. Er winselt leise, wischt sich das Gesicht an seinem Hemd und meinem Anzug ab. Ich verstehe das alles nicht. Es war doch nur Wasser!
Die Berührung seiner starken Arme um meinen Körper lässt mich erzittern. Sein Griff ist fest, zugleich schützend und bedrohlich. Meine Angst vor Cade konkurriert inzwischen mit einem Gefühl, das ich nicht beschreiben kann, das mich aber zu ihm hin zieht. Cade und ich stehen unseren Angreifern nicht nur räumlich gegenüber, aus irgendeinem Grund erwacht in mir eine Empfindung, die uns über unser physisches Dasein hinaus in zwei Parteien trennt.
Einerseits wünsche ich mir so sehr, dass mein Martyrium endlich endet und die Obersten mich nach Hause bringen, andererseits bin ich mir nicht einmal mehr sicher, ob ich ihnen entgegen gelaufen wäre, wenn Cade mich nicht gehalten hätte. Sie sind alle starr. Kalt. Ohne Emotionen. Wenn ich genauer darüber nachdenke, waren sie das schon immer. Ist mir das nie aufgefallen? Sie haben mich auserwählt, um einer von ihnen zu werden, wenn es das Missverständnis wegen Suzie nicht gegeben hätte. Sie würden mich nicht nach Hause bringen, das wird mir plötzlich klar. Sie würden mich der Bestimmung zuführen, die sie für mich vorgesehen haben, welcher Art auch immer. Was einst mein größter Wunsch gewesen war, erscheint mir plötzlich absurd. Etwas in mir sträubt sich mit einem Mal dagegen, mit ihnen zu gehen. Verliere ich völlig den Verstand?
Unvermittelt reißt Cade seinen rechten Arm hoch. In seiner Hand hält er noch immer seine Pistole. Er hat sie trotz seiner offensichtlichen Schmerzen nicht fallen gelassen.
Ein ohrenbetäubender Knall ertönt. Einen Moment lang bin ich taub, in meinem Ohr ertönt ein helles Pfeifen.
Einer der Obersten bricht zusammen und fällt wie ein lebloser Sack zu Boden. Vor Schreck bin ich wie gelähmt, keiner meiner Muskeln will sich bewegen. Cade hat einen Menschen erschossen. Er hat es tatsächlich getan.
Natürlich hat er das
, ermahne ich mich. Er ist ein kaltblütiger Entführer.
Dann bricht Chaos aus. Wieder ertönt ein Schuss, diesmal aber nicht aus Cades Waffe. Er geht nur ganz knapp an mir vorbei. Wieder taumelt Cade rückwärts, wieder reißt er mich mit sich. Er schreit nicht, stößt nur ein unterdrücktes Stöhnen aus, als wir beide auf unserem Hintern landen. Ich reiße den Kopf herum. Cades Hemd ist an der Schulter zerfetzt, darunter eine dunkelrote Wunde, aus der sich ein Tropfen Blut löst. Ein Streifschuss. Ich fahre erschrocken zusammen. Cades Blick trifft meinen und ich bilde mir ein, dass er gequält lächelt. »Schon okay«, presst er hervor.
Dann springt er wieder auf die Beine, genauso schnell, wie ich es von ihm gewohnt bin. Er drängt sich vor mich, als wollte er mich schützen. Er hält mich nicht mehr fest, ich hätte weglaufen können, tue es jedoch nicht.
»Ihr hättet das Mädchen treffen können!«, brüllt Cade und feuert einen weiteren Schuss ab. Ich weiß nicht, ob er jemanden getroffen hat, denn ich kann hinter seinem Rücken nichts sehen. Erst jetzt wird mir klar, dass es den Obersten nicht darum geht, dass ich überlebe, sondern nur darum, dass Cade stirbt. Sie hätten es in Kauf genommen, mich zu treffen. Die Geiselbefreiung war nur ein Vorwand. Neal und ich sind ihnen egal. Die Erkenntnis trifft mich beinahe härter als ein Pistolenschuss.
Ein dritter Knall, diesmal schreit Cade auf. Er taumelt zur Seite, um hinter dem Auto, das noch immer neben uns parkt, Schutz zu suchen. Zuvor stößt er mich allerdings zur Seite. Er haucht mir nur ein einziges Wort ins Ohr: »Lauf«.
Ich zögere nur einen kurzen Moment, in dem ich Cade anstarre, doch er reicht aus, um sich das Bild vor meinen Augen ins Gehirn zu brennen. Sein Hemd ist am Oberarm blutdurchtränkt, er kauert hinter seinem Auto, seine Pistole mit verkrampften Fingern zum Schuss bereit.
Ich wende mich ab und laufe. Aber nicht zu den Obersten, sondern in die andere Richtung.
»Komm hierher!«, brüllt einer von ihnen hinter mir.
Ich höre nicht auf ihn, werfe jedoch einen Blick über die Schulter zurück. Von den ehemals fünf Angreifern sehe ich nur noch zwei aufrecht stehen. Zwei weitere liegen leblos auf dem Boden, der fünfte ist
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