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Glutroter Mond

Glutroter Mond

Titel: Glutroter Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Narcia Kensing
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unserer Spur abzulenken.
    Die Straße führt monoton geradeaus. Links von uns reihen sich die verfallenen Gebäude einer ehemaligen Vergnügungsmeile aneinander. Casinos, Theater, Kinos und Bowlingbahnen. Teilweise existiert die Neonreklame noch, aber von ihrem bunten Glanz ist nichts mehr übrig. Die Gegend wirkt wie ausgestorben. Den ganzen Weg über schweigen wir. Sogar Layton, der neben Sienna sitzt und die ganze Zeit an ihrem Oberschenkel herumfummelt. Widerlich. Es reizt mich, das Lenkrad wieder herumzureißen und die beiden gegen die Scheibe fliegen zu lassen, doch ich unterdrücke meine kindischen Aggressionen.
    Wir sprechen für den Rest des Weges kein Wort mehr miteinander, und darum bin ich mehr als froh. In mir brodelt es, Frust zerfrisst meine Eingeweide. Ich weiß nicht, ob ich den neuen Tiefgang meiner Empfindungen positiv oder negativ bewerten soll. Wo Licht ist, ist auch Schatten. Das trifft anscheinend auch auf das menschliche Gefühlsleben zu. Es war definitiv einfacher, nichts zu fühlen. Allmählich glaube ich, mein Hunger wird nie wieder zurückkehren. Auch nicht schlecht, dann könnte ich den Acrai vielleicht doch für immer den Rücken kehren. Ich brauche die lächerliche Maschine gar nicht mehr ...
    Ich stelle den SUV auf dem Parkplatz einer Shopping Mall ab, von der außer dem Gerippe aus Stahl und Beton sowie einem Haufen Glasscherben nichts mehr übrig ist. Dahinter grenzt ein Wohngebiet an, ehemals eine schicke Gegend mit kleinen grünen Vorgärten und weiß gestrichenen Verandas. Schade, dass diese Zeiten längst vorbei sind. Manchmal vermisse ich den Trubel einer Großstadt, in der es leuchtet und laut ist. Keiner meiner Sippenkollegen hat das je mit eigenen Augen gesehen. Ich empfinde nichts als Missbilligung für sie, obwohl sie nicht daran schuld sind.
    Es ist noch früher Morgen. Die Sonne ist gerade erst aufgegangen. Der Himmel ist klar, kein Wölkchen weit und breit. Eine der Vorraussetzungen für einen ausgedehnten Jagdausflug.
    »Wo haben wir sie denn beim letzten Mal gesehen?«, fragt Layton, der inzwischen ganz offen seinen Arm um Siennas Schultern gelegt hat.
    »Noch ein Stück die Straße runter«, sagt Vince. »Da ist eine alte Ziegelbrennerei. Die Menschen haben es sich hübsch darin eingerichtet. Im Winter ist es schön warm, weil sie im Keller einen riesigen Kohlevorrat gefunden haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das warme Nest seit seiner Entdeckung verlassen haben.« Er reibt sich die Hände und grinst schief. Ehrlich, er rüttelt kräftig am Ohrfeigenbaum.
    Gesagt, getan. Wir finden die alte Ziegelbrennerei ohne Schwierigkeiten, und auch Vinces Vermutung, die Menschen könnten sich dort noch immer verstecken, bewahrheitet sich. Schon von Weitem sehen wir Rauch aus einem der zahlreichen Kamine aufsteigen.
    Das Gebäude besteht - wie hätte man es auch anders vermutet - aus roten Ziegelsteinen. Eigentlich ein hübscher Anblick zwischen all den Betonleichen der Stadt. Einer der runden, zehn Yards hohen Kamintürme ist weggebrochen, ansonsten sieht die alte Ziegelbrennerei beinahe so aus, als würde hier noch gearbeitet, als hätten die Jahrzehnte kaum Spuren hinterlassen. Das könnte freilich auch daran liegen, dass das Haus auch zu seinen besten Zeiten schon alt ausgesehen und einen Charme von Historie versprüht hat.
    Wir betreten die Brennerei durch ein riesiges Flügeltor, das nicht verschlossen ist. Es hat nicht einmal eine Klinke. An der Stelle, an der sie sich hätte befinden sollen, klafft ein Loch im Holz. Vermutlich hat es auch in der Vergangenheit schon diverse Einbrüche gegeben.
    Die folgenden Minuten lasse ich wie ich Trance an mir vorüberziehen. Es ist heiß und stickig in der Halle, Licht spenden einzig die drei Öfen, deren gusseiserne Klappen weit geöffnet sind und einen Blick auf die glühenden Kohlen gewähren. Es ist schrecklich warm. Obwohl es Sommer ist, lassen die Bewohner das Feuer nicht ausgehen.
    An einem Ende des Raumes gibt es ein Fenster, aber es lässt kaum Tageslicht herein. Die zarten grauen Lichtbalken vermögen den Raum nicht zu erhellen.
    Auf den ersten Blick wirkt die Halle leer. Lediglich vor einem der Öfen sehe ich einen Haufen Decken, unter dem durchaus Menschen liegen könnten. Ich bleibe zurück und beobachte, wie Sienna ohne zu zögern darauf zugeht und die Decken herunterreißt. Darunter schlafen drei Personen, auf der Seite liegend und aneinender gedrängt. Es ist eine Frau mit zwei Kindern, die sich

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